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Von der Wirkung bis zur Pflege ranken sich jede Menge mehr oder weniger gut belegte Mythen um das menschliche Haupthaar und den angemessenen Umgang mit ihm. So heißt es etwa: Häufiges Haarewaschen rege die Talgdrüsen zu stärkerer Fettabsonderung an, was dazu führe, dass sie schneller wieder nachfetten. In eine ähnliche Kerbe schlägt auch die No-Poo-Bewegung.

Fetter Ansatz, trockene Spitzen

Die Produktoffensive der Kosmetikunternehmen beginnt mit dem Jahrhundertwechsel. Seit den 1930er Jahren traten Hersteller wie Schwarzkopf mit synthetischen Shampoos an, den Kosmetikmarkt zu erobern. Mit ihnen hielt auch die tägliche Haarwäsche, neue Regelmäßigkeitsnormen und die entsprechenden Revolten gegen sie Einzug in den Kosmos der Körperpflege. Von diesen Ketten möchte die No-Poo-Bewegung befreien: Synthetische Shampoos, so der Glaubensgrundsatz, berauben das Haar ihrer natürlich produzierten Öle, so dass dieses ständig nachfettet und in der Folge wieder gewaschen werden muss. Shampoos trocknen das Haar gleichzeitig aus, weshalb man in Fragen der Pflege mit Conditionern gegenhalten müsse. Produktpaletten von Shampoo bis Spülung sorgen also für einen Teufelskreis von regelmäßigem Waschen und Fetten und werden so zum satanischen Antagonist im Weltbild der No-Poo-Bewegung.

Teufelskreis der Tenside

Den Pfad der Verlockung können jedoch nur jene betreten, die einen Pakt mit dem Hairstylist der Hölle einzugehen bereit sind. Mit diesem wird allerdings auch ein neues Waschverhalten gleich mitgeliefert. Die waschaktiven Substanzen in Shampoos sind Tenside. Sie bilden neben Wasser seine Hauptbestandteile. Alkylsulfate waren die ersten Tenside synthetischer Shampoos und werden auch heute noch eingesetzt. Zusammen mit Silikonderivaten wie Dimethiconen stehen diese Inhaltsstoffe und ihre umstrittene Wirkung auf der Liste der erklärten Feinde der No-Poos. Diese, so heißt es, verführen mit Verheißungen von Volumen, glänzendem Haar und Kämmbarkeit, reizen aber die Haut und lassen die Haare mal zu fettig, mal zu trocken werden. Deswegen bedürfe es überhaupt erst der vielen Zusatzprodukte wie Spülungen, lautet zumindest die Kritik. Wer Abbitte leisten und den Pakt wieder lösen möchte, muss dafür zunächst durch die gefürchtete Übergangsphase, die zwei bis sechs Wochen dauern kann. Die Fettproduktion regeneriert sich während der ersten shampoofreien Zeit nur langsam, soll so aber schließlich auf ein Minimum zurückgefahren werden können. Damit treten die No-Poos die Rückkehr zu den Wurzeln des Haarewaschens an, als Wasser, Seife und Essig noch für Reinigung und Pflege der menschlichen Zotteln ausreichten. Das Heilsversprechen ist, seine Haare von da an höchstens ein Mal in der Woche waschen zu müssen. Dazu genügt entweder in Wasser aufgelöstes Backpulver oder eine rudimentäre Seifenbase, um den Schmutz zu entfernen. Nachgearbeitet wird – wenn überhaupt – mit Apfelessig, Honig oder Ölen. Die Hardcore-Variante dieses Konzepts ist, die Haare ausschließlich mit Wasser zu waschen. Das Netz ist voll von überschwänglich beschwörenden Konversionserzählungen überzeugter No-Poos. Ihr neues Lebensgefühl wird flankiert von der Freude über Einsparpotenziale, natürliche Inhaltsstoffe und Zufriedenheit. Doch klagen auch sie noch immer regelmäßig über die Leiden eines Bad-Hair-Days. Erlösung sieht anders aus.

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