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Zur Erinnerung: Thilo Sarrazins Buch „Deutschland schafft sich ab“ erschien im August 2010 und löste eine Debatte aus, deren Medienrezeption im Verlauf ihrer ungefähr zehnwöchigen Dauer immer weiter in das rechte Spektrum geriet. Nicht die rassistischen, nationalistischen und sozialdarwinistischen Thesen Sarrazins standen im Vordergrund, sondern eine angeschlossene Integrationsdebatte und die Frage nach der Meinungsfreiheit. Die Bild-Zeitung titelte mit dem Aufmacher „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“, hob den universellen Wert der Meinungsfreiheit über die rassistischen Äußerungen Sarrazins und tabuisierte die Meinungen von KritikerInnen, die sich gegen Sarrazin stellten.

Die hegemoniale Presse tut ihr Übriges

Dass es keineswegs nur die Bild-Zeitung war, die in ihrer Berichterstattung rassistische Kategorien rezipiert und eine Ethnisierung der Unterschicht vornimmt, zeigen Sebastian Friedrich und Hannah Schultes in ihrem Beitrag „Von ‚Musterbeispielen‘ und Intgrationsverweigerern. Repräsentationen von Migrant_innen in der ‚Sarrazindebatte‘“, in dem sie die Medienrezeption von Spiegel, Süddeutsche und FAZ analysieren. Sebastian Friedrich stellt heraus, „dass in der angeschlossenen Integrationsdebatte MigrantInnen im Vordergrund standen, nicht aber die weiße Unterschicht. Diese Ethnisierung von Unterschicht stützt die Konstruktion des nutzlosen Anderen.“ Integration und das vorherrschende Integrationsparadigma wird durch Leistungsfähigkeit definiert, „Positivbeispiele“ von Menschen mit migrantischer Markierung dominieren die mediale Rezeption und eröffnen das binäre Feld nutzvoller und nutzloser Menschen für die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland.

Privileg des verletzenden Sprechens

Regina Wamper stellt die Debatte um die Meinungsfreiheit und andere Debatten wie den Kopftuchstreit in den Vordergrund, um ihre Thesen fruchtbar zu machen. Deutlich wird, dass die rassistischen Äußerungen Sarrazins durch die Meinungsfreiheit legitimiert wurden, also der Unterdrücker Sarrazin zum Wahrheitssprecher stilisiert wurde und die Kritik als Unterdrückung wahrgenommen wurde. In der Debatte fand eine Verschiebung statt, die über positive Normen eine Ausgrenzung des Anderen vollzog. Wamper sagt: „Sarrazin nimmt sich selbst das exklusive Privileg des verletzenden Sprechens heraus.“ Ein Privileg, das jeglicher Grundlage entbehre, solange sich der Sprecher nicht selbst verletzbar, sprich angreifbar macht, was durch die Diffamierung der KritikerInnen nicht geschehen konnte. Eine solche Verschiebung sei ebenfalls bei anderen medialen Debatten zu beobachten, so Wamper. Im Fall des Kopftuchstreits seien nicht patriarchale Strukturen thematisiert, sondern eine Ethnisierung des Sexismus vorgenommen worden.

Über Sarrazin hinaus

Der Sammelband analysiert die Sarrazin-Debatte beispielhaft für einen rassistischen Diskurs, der keineswegs nach 1945 endete: Rassismus, Sexismus und Ethnisierungen sind in der Medienrezeption an der Tagesordnung. Rassistische Kategorien werden weiterhin transportiert und verbreitet. Die AutorInnen fordern dazu auf, sich weiterhin kritisch und analytisch mit rassistischen Diskursen auseinanderzusetzen. Der Band ist das beste Beispiel für eine breit gefächerte Diskursanalyse von jungen WissenschaftlerInnen, die aufzeigen, dass der Rassismus in der Leistungsgesellschaft angekommen ist und es Zeit ist, sich darüber Gedanken zu machen, dieser Tendenz entgegen zu wirken.

Sebastian Friedrich (Hg.): Rassismus in der Leistungsgesellschaft. Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der „Sarrazindebatte“. edition assemblage: Münster. 2011, 262 Seiten. 19.80 Euro.

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