Großveranstaltungen wie die jährlich stattfindende Mayday in den Dortmunder Westfalenhallen oder Auftritte von Partyprominenzen wie DJ Hell im kommerziellen Teil des U-Turmes mögen das Bild des Dortmunder Nachtlebens in der öffentlichen Wahrnehmung prägen. Mit interessanter und kreativer Techno-Kultur, wie man sie in den Metropolen Berlin, Hamburg oder Leipzig findet, haben diese Veranstaltungen nichts gemein. Bei diesen sollte sich der tanzfreudige Gast eher darauf einstellen, tief in die Geldbörse zu greifen oder sich für den nächsten Gig im U sogleich einen Tisch im VIP Bereich reservieren, um an der Tür zu Gunsten eines Fußballprofis samt Entourage, oder einfach wegen dem falschen Schuhwerk, nicht abgewiesen zu werden. Techno-Flair wie in Berlin und Leipzig findet man in der Ruhrgebietsregion eher in Essen oder mittlerweile auch in Bochum.
Viel Elektro, wenig Techno
In kleineren Dortmunder Locations wie dem Tanzcafé Hösels, der Suite023 oder dem Le Grande, wo das musikalische Programm eher von lokalen DJs bestimmt wird und die Schuhe auch mal älter sein dürfen, sind aktuell auch zahlreich elektronische Klänge zu vernehmen. Diese sind aber meist nur Teil einer Musik, die primär dem sogenannten Indie Spektrum zuzuordnen ist und sich aus Einflüssen des Hip-Hop, der Gitarrenmusik und des Trash speist. Von Techno ist dies weit entfernt.
Jeden ersten Freitag im Monat veranstaltet das Ostbahnhof Kollektiv um den Dortmunder DJ Dennis Herzig jedoch immerhin eine Techno-Veranstaltung in der Suite. Darüber hinaus fand am selben Ort unter dem Namen „Artefakt“ kürzlich eine weitere Techno-Veranstaltung statt. Über diese gab es im Vorfeld kaum etwas zu erfahren. Beworben wurde sie so minimalistisch, wie der Techno häufig selbst daherkommt. Auf weißem Grund war in schwarzen Lettern schlicht „Techno“ zu lesen, darunter ein Datum. Später wurden kleine Zettel unter die DIN A4 Plakate geklebt, auf denen der Ort und das Line Up zu lesen waren. „Die Party war mit über hundert Gästen ganz gut besucht“, erklärt Nabil Nawasrah, einer der Suite Betreiber. Ob der externe Veranstalter die Party jedoch als Reihe etablieren wird, bleibt abzuwarten. Trotz dessen Engagement fehle es an finanziellen Mitteln. Und die Genre Ausrichtung der Suite sieht Nawasrah ohnehin nicht minimalistisch – Dancehall, Hip-Hop und Indie stehen hier auf dem Programm.
„Der Samstag bleibt bei uns elektronisch“, erklärt Jens Rompusch, einer der Betreiber des Royal Bambi im Dortmunder Hoeschpark. Seit drei Jahren veranstaltet Rompusch in dem Club gemeinsam mit seinem Kollegen Martin Suchla Techno-Veranstaltungen. Das Programm reicht dabei von melodischem Minimal-Techno über Tech-House bis hin zu aggressivem Hardcore-Techno. Der aus den Ruinen der legendären Versteck-Partys entstandene Club führt im Nordosten Dortmunds zwar eine Randexistenz, kann aber durch ein qualitatives Line Up und den verruchten Charme der Location auf ein breites Stammpublikum zählen. Für den Sommer plant Rompusch nun auch Tanzveranstaltungen unter freiem Himmel. So hat er mit Kollegen im abgezäunten Hinterhof seines Clubs eine Tanzfläche samt DJ Pult aus Holz errichtet, wo die BesucherInnen zukünftig zu nachmittäglicher Stunde tanzen können – natürlich sonnengeschützt durch große Laubbäume und dunkle Brillengläser. Im Sommer soll es im Hoeschpark auch ein kleines Festival geben. „Mit Tobias Lützenkirchen“, freut sich Rompusch.
Die Szene wiederbeleben
Trotz alledem konstatieren Rother und VertreterInnen seiner Zunft einen Techno-Mangel in Dortmund, und das nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ. Neben der musikalischen Vielseitigkeit fehle es für neue Projekte vor allem an Zeit und Raum.
Georg Breger, Musiker, DJ und Mitbegründer der Beatplantation, vermutet etwa, die Sperrstunde könne ein Grund dafür sein, dass Techno-Partys in Dortmund so schwer zu etablieren seien. „Wenn man sich vorstellt, in Essen gäbe es diese Sperrstunde, dann würde da alles den Bach runter gehen.“ Er wundert sich, welchen Sinn es ergebe, die Leute nach Hause zu schicken, obwohl sie noch feiern wollen. In Dortmunds Innenstadt müssen die Veranstalter die Gäste spätestens um 6.00 Uhr rausschmeißen, ansonsten droht Ärger mit den Behörden.
Mehr Zeit, mehr Raum
Was den Raum betrifft, steht auch „All The Time“ vor einem Problem. Nach der kurzfristigen Schließung der „Hafenliebe“ durch das Ordnungsamt, in der zuletzt sowohl „All The Time“, die „Rheinrythmik“ als auch die berüchtigten Versteck-Partys gastierten, beschränken sich die Techno-Sessions in Dortmund auf ein Minimum. Neben den Veranstaltungen im Royal Bambi und der Suite gibt es kaum erwähnenswerte House-Partys in charakterlosen Etablissements wie dem Nightrooms in der Hansastraße und dem Daddy Blatzheim im Westfalenpark. Die Macher von „All The Time“ suchen daher möglichst zeitnah nach einer neuen Location. Die etablierten Läden schließen sie dabei aber bewusst aus. „Für eine ausgewogene und abwechslungsreiche Techno-Kultur sind ein Club und eine Partyreihe nicht ausreichend“, sagt Rother. „Aber ‚All The Time‘ wird wieder Partys veranstalten, und dazu gibt es Kunstausstellungen.“ Darüber hinaus kann er sich vorstellen, dass im Sommer auch am Dortmunder Kanal wieder Partys stattfinden könnten. Dort gab es in den vergangen Jahren immer wieder spontane, zumeist illegale Partys. Solche Veranstaltungen können durch ihre freien Strukturen und den unkommerziellen Charakter häufig jenes Gefühl auslösen, welches auf Veranstaltungen wie der Beatplantation, dem Fusion-Festival oder kleinen, lose organisierten Festivals in den Vorstädten der Metropolen entsteht: Teil einer Gruppe von Leuten zu sein, die für eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort zusammenkommt und trotz aller lebensweltlichen Unterschiede in der einen Sache vereint ist, wenn es darum geht, auf den nächsten Beat zu warten.
Da dies im Ruhrgebiet andernorts immer wieder funktioniert, so müsste es doch auch in Dortmund möglich sein. André Rother von „All The Time“ ist einer von denen, die versuchen, den Techno in in der Stadt wieder zu beleben. Und der Dortmunder ist sich sicher: „Ich geh nicht nach Berlin!“
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