„Knast“ lautet der überaus bezeichnende Titel des Buches. Darin beleuchtet der Regierungsmedizinaldirektor Bausch in simpler wie eingängiger Sprache die grundlegenden Facetten des Gefängnisalltags. Es ist eine subjektive, persönliche Darstellung einer speziellen, räumlich wie zeitlich sehr verdichteten Welt, in welcher sich stets auch die Probleme einer Gesellschaft widerspiegeln. Für Bausch sind dies beispielsweise die Kollateralschäden, „die unsere Ellenbogengesellschaft verursacht, die das rücksichtslose Streben nach dem schnellen Erfolg, der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung des Einzelnen über das Glück der Gemeinschaft gehoben haben.“ Eine These, die nachvollziehbar ist. Allerdings besticht das Buch weniger durch Bauschs Gesellschaftskritik als vielmehr durch jene Schilderungen, die sich auf Gegebenheiten innerhalb der Gefängnismauern beziehen oder Aufschluss über den spannenden Werdegang des Autors geben, obgleich es sich bei „Knast“ trotz zahlreicher biographischer Bezüge nicht um eine Autobiographie handelt.
„Die Fähigkeit zur Empathie nicht verlieren“
In zahlreichen Talkshows und Interviews hat sich Bausch in den vergangenen Jahren immer wieder als Analyst und Kritiker des deutschen Strafvollzugs geäußert. Neben einer fundierten Sachkenntnis des Gefängniswesens konnte man dabei auch immer wieder eine gewisse Empathie für Gefangene bemerken. Diese scheint Außenstehenden häufig schwer nachvollziehbar, gerade wenn es sich bei den Häftlingen um SexualstraftäterInnen oder MörderInnen handelt. Nach Bauschs Auffassung ist die Empathie den PatientInnen gegenüber jedoch eine entscheidende Triebfeder, ohne die ein Arzt seiner Aufgabe nicht gerecht werden könne. Und da der Gefängnisarzt schon aufgrund seiner Schweigepflicht häufig die einzige Vertrauensperson für Häftlinge darstelle, komme dieser deren menschlichen Abgründen letztlich wohl am nächsten. Die größte Schwierigkeit sei dann, sich von diesen „abzugrenzen und dennoch die Fähigkeit zur Empathie nicht zu verlieren.“ Die unterschiedlichen Straftaten, welche seine PatientInnen ins Gefängnis gebracht haben, interessieren Bausch im Praxisalltag ohnehin nicht. In einer von Sandra Maischberger moderierten Fernseh-Gesprächsrunde, welche im vergangenen Jahr in der Justizvollzugsanstalt Werl aufgezeichnet wurde, erklärte er, dass er gar nicht die Zeit dafür habe, sich die Personalakte aller PatientInnen durchzulesen und sich mit deren Straftaten zu beschäftigen. „[E]s würde mich vom Kerngeschäft zu lange abhalten. So lange die Patienten zu mir nett sind und respektvoll mit mir umgehen, werden sie von mir respektvoll behandelt.“ Gleichwohl gibt Bausch in seinem Buch zu, dass er trotz aller Professionalität eine Faszination für gescheiterte Charaktere besitzt und auch diese Grund für seine Berufswahl war. „Mir macht es Freude, mit schwierigen Patienten umzugehen, ihre brüchigen Lebensläufe zu studieren und mich mit realen Figuren zu beschäftigen, die plötzlich in der schlimmsten Tragödie ihres Lebens angekommen sind.“
„Im Knast ist alles echt“
In achtzehn thematisch gegliederten Kapiteln wird das Ungeheuer Knast mittels zahlreicher Fallbeispiele schonungslos seziert. Von der Inhaftierung bis zum Ausbruch, von der Untersuchungshaft bis zur Sicherungsverwahrung, von der Selbstbefriedigung bis zur Vergewaltigung, vom Toilettengang bis zum Tod, vom RAF-Terroristen bis zum Nazi wird dabei nichts ausgelassen. Und anders als im „Tatort“ ist der Schrecken hier stets real. „Da geht es nicht um Fiktion oder irgendwelche Bagatellen“, schreibt Bausch im Prolog des Buches. „Im Knast ist alles echt. Das Leben hinter Gittern mag sich zwar hin und wieder um etwas drehen, was ich bereits im Theater gesehen oder sogar selbst auf der Bühne dargestellt habe. Aber hier stehst du nicht mehr auf Brettern, die die Welt bedeuten. Hier stehst du knöcheltief in der Scheiße, bist konfrontiert mit einer Realität, die dir alles abverlangt.“ Joe Bausch hat sich freiwillig für diese Realität entschieden. Seine PatientInnen eher nicht.
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