Härtere Strafen für Sexualstraftaten: Das ist eine verbreitete Forderung vor allem in Boulevardmedien. Tatsächlich hat sich das Sexualstrafrecht in den vergangenen Jahren bereits deutlich verschärft. Die Bayerische Landesregierung etwa führte 2006 HEADS ein, die „Haftentlassenen-Auskunftsdatei Sexualstraftäter“. Im Rahmen dieses Konzeptes bewerten nicht PsychiaterInnen oder TherapeutInnen, sondern Polizei oder Justiz, wie hoch die Gefahr mutmaßlich ist, die von einem verurteilten Täter zukünftig ausgeht. Das Land Nordrhein-Westfalen nennt ihr Model KURS, was für „Konzeption zum Umgang mit besonders rückfallgefährdeten Sexualstraftätern“ steht. Hier findet die Beurteilung ausschließlich durch die polizeilichen Ermittlungsbehörden statt. Seit der Gesetzesverschärfung von 1998 wird unabhängig von der Schuld des Täters allein aufgrund seiner angenommenen Gefährlichkeit entschieden, ob er sicherheitsverwahrt wird oder nicht. Seit 2004 können auch Ersttäter noch nachträglich verwahrt werden. Diese Praxis hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits im Jahr 2010 als Menschenrechtsverletzung verurteilt – unter anderem wegen der fehlenden therapeutischen Behandlung. Im vergangenen Jahr hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die nachträgliche Sicherungsverwahrung verfassungswidrig ist.
Sicherheitsdebatten
Trotz der reißerischen Berichterstattung in manchen Boulevardmedien sprechen die statistischen Daten eindeutig gegen die öffentliche Wahrnehmung, von Sexualstraftätern gehe eine steigende Gefahr aus. Dass die Täter sexualisierter Gewalt grundsätzlich nicht therapierbar seien, ist ebenfalls widerlegt. Insgesamt ist die Erfolgsquote in etwa vergleichbar den Aussichten von Suchtkranken wie Trinkenden und Spielenden. Insgesamt nimmt die Zahl der offizell registrierten Sexualstraftaten stetig ab.
Und das gilt nicht nur für Deutschland. Dennoch verschärfte auch Frankreich im Jahr 2010 die Gesetzgebung: Das französische Gesetz ermöglicht eine umfassende Überwachung sowie strengere Sicherheitsverwahrung und ist heftig umstritten. Vorgesehen ist eine eigentlich freiwillige, aber dauerhafte Behandlung mit einem Medikamentencocktail, der unter anderem weibliche Hormone enthält, und der die Täter impotent macht. Lehnen die Straftäter allerdings die medikamentöse Behandlung ab, droht ihnen eine erneute Haft, und sie können nicht wie sonst im Strafrecht üblich das letzte Drittel ihrer Strafe erlassen bekommen.
Bundesgesetz seit 1969
Staatlich verordnete Kastration hat eine lange Tradition, vor allem zur Demütigung von Gegnern, und als rassenhygienische Maßnahme im Rahmen der Eugenik. Von diesen Praktiken wollte sich die Bundesrepublik seit 1945 größtmöglich distanzieren. Seit 1969 gibt es allerdings ein Bundesgesetz über die freiwillige Kastration, die das Verfahren des chirurgischen Eingriffs bei Sexualstraftätern regelt. Nach wie vor ist die Kastration, einmal durchgeführt, medizinisch nicht mehr rückgängig zu machen. Neben der chirurgischen Kastration zählt in Deutschland wie in Frankreich auch die chemisch-hormonelle Behandlung zu dem Repertoire, das heute an Gefangenen praktiziert wird. Zu den Nebenwirkungen gehören hierbei Brustwachstum und Depressionen. Dass die Medikamente sexuelles Verlangen und die Potenz wie angestrebt mindern, ist indes nicht erwiesen. GegnerInnen der aktuellen Verfahren kritisieren, dass bei der Suche nach Behandlungmöglickeiten zu wenig berücksichtigt wird, dass etwa zwei Drittel der verurteilten Täter zuvor selbst Opfer sexualisierter Gewalt waren.
Lückenlose Überwachung
Das Hessische Landeskriminalamt hat im vergangenen Jahr eine Studie herausgegeben, in der es vorschlägt, eine Zentralstelle zur Überwachung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter einzuführen. Die Studie weist zwar diffus auf die Rolle von Prävention hin, ihr Hauptaugenmerk richtet sie jedoch darauf, möglichst viele Daten über die Täter zu sammeln. Und das, obwohl auch diese Studie eindeutig feststellt, dass entscheidende Risikofaktoren in bedeutendem Maße im engsten sozialen Umfeld zu finden sind. Gleichzeitig plausibilisiert sie die Forderung, bei Bedarf in massiver Weise die Persönlichkeitsrechte zu beschneiden. Es handelt sich dabei um Eingriffe, die von großen Teilen der Bevölkerung – auch aus Angst – toleriert und befürwortet werden. Sogar dann, wenn sich zeigen lässt, dass es vor allem dazu dient, innerhalb der Gesellschaft lediglich ein Gefühl von Sicherheit zu erzeugen.
Auch bei der vom Hessischen Landeskriminalamt geforderten zentralen Überwachungsstelle geht es primär nicht um die Behandlung psychisch Kranker oder um die TäterInnen selbst, sondern darum, dass die gesellschaftliche Mitte in ihren Verhaltensweisen bestätigt und von weiteren Verantwortlichkeiten entlastet wird. Weitgehend unbestritten ist zwar, dass sexualisierte Gewalt meistens im Verwandten- und Bekanntenkreis und in allen Schichten der Bevölkerung stattfindet. Sexualstraftaten dennoch reflexartig lückenlose Überwachung oder eben Kastration entgegenzuhalten, verschleiert deswegen auch, dass gesellschaftliche Probleme mit der Bevölkerung zu tun haben, in der sie entstehen. Es lenkt außerdem davon ab, dass oftmals das direkte Umfeld beteiligt ist, und dass es sich um eine völlig falsche Vorstellung handelt, das Problem sei vor allem durch die Überwachung von einmal verurteilten Tätern in den Griff zu bekommen.
Es geht um Macht
Mit anderen Worten: Kastration als Problemlösung zu betrachten, zielt auch darauf, das Problem zu personalisieren anstatt sexualisierte Gewalt als gesamtgesellschaftliches Phänomen ernst zu nehmen. Darüber hinaus ist sogar unklar, ob eine Kastration im Einzelfall weitere Übergriffe verhindert. So betont etwa Angelika Oetken vom privaten Verein für Betroffene sexualisierter Misshandlung in der Kindheit, dass entgegen der landläufigen Annahme nicht ein übermäßiger Sexualtrieb, sondern eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung zu den besonders extremen Sexualstraftaten führe. Kastration als Strafmaßnahme lenkt demnach also nicht nur auf der gesellschaftlichen, sondern auch auf der personalisierten, also Täter-bezogenen Ebene von den eigentlichen Ursachen ab. Eine viel größere Rolle spiele nämlich, dass die – häufig impotenten – Täter Macht ausüben wollen. Stimmt diese Einschätzung, wird unmittelbar klar, dass Kastration und chemisch-hormonelle Behandlungen nicht das zugrunde liegende Problem lösen können, sondern es nur verlagern. Sie beruhigen nur oberflächlich, weil sie die Illusion von Sicherheit mit einer tatsächlichen Aufklärung der eigentlichen Ursachen verwechseln.
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