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Beleidigungen, Bedrohungen, Körperverletzungen – Jüdinnen und Juden in NRW sind nahezu unverändert Ziel antisemitischer Straftaten. „In 2011 (sind) in verschiedenen Städten jüdische Grabsteine geschändet, Gedenkstätten beschmiert und antisemitische Flugblätter verteilt worden“, heißt es in der Antwort der Landesregierung. Der Fahndungserfolg indes scheint auszubleiben: Im gesamten Jahr 2011 wurden lediglich neun Tatverdächtige im Alter zwischen 16 und 44 Jahren festgenommen. Auch Verurteilungen gab es kaum: Von insgesamt 300 Ermittlungsverfahren kam es zu 52 Anklagen und nur zu 24 Verurteilungen – 252 Verfahren wurden eingestellt. Zwar kann man angesichts der blanken Zahlen nicht von einer relevanten Zunahme antisemitischer Straftaten sprechen. Die Zahl der Gewalttaten jedoch stieg von vier auf zehn an, und hat sich damit mehr als verdoppelt. Die ermittelten Tatverdächtigen sind allesamt männlich, Volksverhetzungsdelikte überwiegen. Die Landesregierung verortet die allermeisten Straftaten im rechten Milieu, doch auch für die Kategorie „Politisch motivierte Kriminalität Links“ sind zwei Sachbeschädigungen verzeichnet. Für die „Politisch motivierte Ausländerkriminalität“ sind insgesamt drei Straftaten angegeben, weitere acht fallen unter die Kategorie „Sonstiges.“
Damit wird der Eindruck erweckt, Antisemitismus sei primär ein Problem der angeblichen politischen Extreme. Dass dies eine Fehlannahme ist, zeigte eine Ende Januar von einem wissenschaftlichen ExpertInnenkreis vorgestellte Studie zu Antisemitismus in Deutschland. 16, 4 Millionen BundesbürgerInnen hegten demnach antisemitische Emotionen – und damit knapp ein Fünftel der Bevölkerung (Die bsz berichtete). Natürlich ist das nackte Ressentiment an sich noch keine Straftat, die Landesregierung betont aber, dass „die Befürwortung antisemitischer Aussagen letztendlich den Nährboden für antisemitisch motivierte Straftaten vor(bereitet), die auch in NRW im vergangenen Jahr verübt wurden.“ Es besteht also Anlass zur Beunruhigung. Doch nicht nur der Antisemitismus in der selbsterklärten „Mitte der Gesellschaft“ wird bislang eher stiefmütterlich behandelt. Auch in der linken Szene werden immer wieder antisemitische Vorfälle bekannt. Gerade im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt findet hier vor allem Propaganda statt, so etwa Boykottaufrufe gegen israelische Waren. In diesem Fahrwasser verschwimmen dann auch oft die Grenzen zwischen dem was das Landeskriminalamt in „Rechts“, „Links“ und „Ausländerkriminalität“ auffächern will.

Im Zweifel gegen Israel

Ein klassisches Beispiel dafür ist etwa der sogenannte Duisburger Flaggenskandal von 2009. Am Rande einer antiisraelischen Demonstration hing ein Student eine Israelflagge aus dem Fenster seiner Wohnung an der Demoroute. Die vor allem aus linken und migrantischen Demonstrierenden bestehende Menschenmenge stoppte und stieß Verwünschungen in Richtung des Israelfreundes aus, „Nazis – Israel“ skandierten sie. Auf einem Video eines anderen antizionistischen Aufmarsches, ebenfalls in Duisburg, ist ein Mann mit arabischem Hintergrund zu sehen. Dieser lässt, angesichts einer Israelfahne sichtlich aufgebracht, seinen Vernichtungsphantasien freien Lauf: „Wo ist dieser Hitler? (…) Der hätte den ganz fertig gemacht den Arschlöcher!“ (Fehler im Original.) Die Anwendung von Kategorien auf diesen Personenkreis dürfte recht willkürlich erfolgen, sehen sich doch viele ProtagonistInnen der israelfeindlichen, antiimperialistischen Szene selbst als „links“ an. Wohin stecken die Behörden nun also „Ausländer“, die angeblich „links motiviert“ rechte Straftaten begehen? Es ist diese begriffliche Willkür, diese ideologische Vereinfachung komplexer Sachverhalte, welche eine adäquate Analyse zur Lage deutscher Zustände erschwert. Wer richtigerweise darauf verweist, dass das bloße Befürworten antisemitischer Positionen den Nährboden für Übergriffe bildet, darf eine Besonderheit der Judenfeindschaft nicht ignorieren: Sie existiert in allen politischen und ideologischen Lagern, allein ihre Ausformung variiert. Die einen verbergen sie hinter antizionistischer Rethorik, andere ergehen sich in wilden Weltbeherrschungstheorien, wieder andere fröhnen dem offenen Antisemitismus. Das muss nicht strafbar sein. Problematisch wird es allerdings da, wo Jüdinnen und Juden in Deutschland sich ihrer körperlichen Unversehrtheit nicht mehr sicher sein können. Permanente Einschüchterung von Menschen jüdischen Glaubens entsteht vor allem durch Aktionen wie die Schändung von Friedhöfen und Synagogen, so auch die Beschmierung jüdischer Grabsteine in Bochum 2010. Auch bei den Behörden selbst hapert es gewaltig, was das bloße Erkennen von Antisemitismus angeht: Als Reaktion auf den antisemitischen Mob im Duisburger Flaggenskandal sorgte die Polizei nicht etwa für das Recht des Studenten auf freie Meinungsäußerung. Stattdessen traten die Tür der Wohnung ein und entfernten die Israelflagge. „Aus Sicherheitsgründen.“

 

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