Bild:

Es ist schon bemerkenswert. Da stellt ausgerechnet die vielen als verstaubt und rückwärtsgewandt geltende CDU eine Koalition zusammen, die sich die vermeintlich progressiveren „linken“ Parteien im Bundestag in ihren feuchtesten Träumen nicht hätten vorstellen können: Da wäre zunächst ein Finanzminister mit Behinderung, welcher, auch über Koalitionsgrenzen hinaus, hohes Ansehen genießt. Deutschlands Interessen im Ausland werden, eher schlecht als recht, von einem offen schwulen Außenminister vertreten. Bei aller Häme und Kritik: Die Reisen in Länder, in denen Homosexualität unter Strafe steht, tritt er tapfer an – bislang ohne Blessuren. Verdrängt wurde er vom Posten des Vizekanzlers von einem vietnamesischen Kriegswaisen, welcher es außerdem zum Wirtschaftsminister gebracht hat. Die beiden wichtigen Ressorts Justiz und Arbeit und Soziales werden von Frauen besetzt, und auch die Regierungschefin selbst ist bekanntlich eine Frau.

Mantra der Macht

Angesichts dieses Kabinetts, welches sich wohltuend vom alten Mantra der Macht – männlich, weiß, heterosexuell – abhebt, ist die Debatte um die Kanzler­Innenkandidatur in der SPD doch sehr erstaunlich. Von Anfang an drehten sich die Spekulationen, wer von den Genoss­Innen 2013 gegen Merkel antreten wird, um drei – ausschließlich männliche – Personalien. Im Gespräch sind Steinmeier, Steinbrück und Gabriel. Vor allem Steinbrück gilt vielen als Favorit. Dies ist umso interessanter, schaut man sich an, wie Steinbrück in den Fokus der Aufmerksamkeit geriet.

Männliche Seilschaften

„Er kann es!“ Dieser Satz, gesagt von Altkanzler Helmut Schmidt über Peer Steinbrück, steht exemplarisch für die patriarchische Kultur bei den SozialdemokratInnen. Denn er markiert die etablierten maskulinen Seilschaften in der Partei, in der alte, weiße, hetero­sexuelle Männer nicht ganz so alten, ebenfalls weißen, heterosexuellen Männern den Weg nach oben frei machen. Für Frauen und andere ExotInnen bleibt da kein Platz, Sigmar Gabriel sägte jüngst die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, die vielen in der Partei als unbequem gilt, als Wahlkampfleiterin für die kommende Bundestagswahl ab. Und schon für Gerhard Schröder war Frauenpolitik erklärtermaßen „Gedöns“.
Erfrischend ist daher der Personalvorschlag der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, sowie der Jusos in Nordrhein-Westfalen. Sie schlagen ihrerseits die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft für das einflussreichste Amt im Staate vor. Eine offizielle Positionierung der NRW-SPD hingegen gibt es nicht, „Kein Kommentar“ heißt es bei der Pressestelle. Kraft indes gibt sich ähnlich zurückhaltend, sie verweist auf ihre verantwortungsvolle Aufgabe als Chefin einer Minderheitsregierung, welche in heiklen Fragen abhängig ist vom wackeligen Votum der Linkspartei. Man sollte sich davon nicht täuschen lassen, als KandidatIn im Abseits ist es nicht ratsam, seine Ambitionen allzu offen zu formulieren. Denn würde sich Kraft selbst ins Spiel bringen, würde sie es in NRW, im Falle ihres Scheiterns, als Ministerpräsidentin schwer haben. Der Posten erschiene vielen im Landtag als ihre zweite Wahl, die ohnehin auf tönernen Füßen stehende rot-grüne Koalition wäre eher gefährdet denn gefestigt.
Berichten zufolge sollen große Teile der Parteibasis hinter Kraft stehen, dort gebe es „Unmut über die auf lediglich drei Männer konzentrierte K-Debatte“, wie die WAZ berichtet. Man darf nicht vergessen: Kraft ist beim SPD-Bundesparteitag Ende 2011 mit grandiosen 97,2 Prozent zur Bundes-Vizevorsitzenden gewählt worden, ein fast sozialistisches Votum. Sie fuhr damit das mit Abstand beste Ergebnis des Parteitages ein, was sie, wenn auch nur temporär, erstmals ernsthaft ins Gespräch für 2013 brachte.

Keine Experimente

Dass Kraft tatsächlich Kanzlerinnenkandidatin wird, ist unwahrscheinlich. Die männerdominierte SPD ist in ihren Strukturen zu verkrustet, um Experimente zu wagen – seien diese auch noch so moderat. Zu besichtigen war dies zuletzt bei dem Versuch, auch Nicht-Parteimitglieder an wichtigen Personalfragen, auch bei der SPD-KanzlerInnenkandidatur, zu beteiligen. Hintergrund des an der Basis umstrittenen Vorschlags war der anhaltende Mitgliederschwund in der SPD. Doch aus der Reform wurde – Nichts. Zu mächtig waren die HüterInnen der alten Ordnung, relativ bald wurde klar, dass die Reform auf dem Bundesparteitag keine Mehrheit haben würde. Was von einer Kanzlerin Kraft politisch zu erwarten wäre, ist eine andere Sache. So hat die Verfechterin des Bachelor-Mastersystems als Wissenschaftsministerin in NRW die Studiengebühren erst eingeführt, und dann 2010 Wahlkampf mit der Abschaffung derselben gemacht.

0 comments

You must be logged in to post a comment.