Die Grande Dame der Literaturkritik, Sigrid Löffler, beginnt nach einer kurzen Vorstellung die Runde der Buchempfehlungen. Sie war bereits im Literarischen Quartett des ZDF, welches als Vorbild zur Veranstaltung dient, von 1988 bis 2000 an der Seite von Marcel Reich-Ranicki zu sehen. Nach einem Disput über das Buch „Gefährliche Geliebte“ von Haruki Murakami gab sie ihr Ausscheiden aus dem Quartett bekannt. Zu einer erbitterten Diskussion, gar einem Disput, sollte es an diesem Abend jedoch nicht kommen.
Ein Blick ins Publikum: Ergraute und bebrillte Damen und Herren zücken die Stifte, ebenso die Studierenden, die ihren College-Block hervorkramen. Von der Bühnendecke fallen vereinzelte Lametta-Teilchen, eines direkt vor Sigrid Löffler. Eine vorgreifende Symbolik: Hier ist der Fokus. Eloquent und nach allen Regeln der Kunst der Literaturkritik, bespricht Löffler Edmund de Waals „Der Hase mit den Bernsteinaugen“. Eine Familiengeschichte, die mal ganz anders erzählt wird und an der Löffler, ebenso wie Köhnen, Matthes und Schneider nichts auszusetzen haben. Der Konsens wirkt jetzt schon einschläfernd. Köhnen legt dem Publikum Feridun Zaimoglus „Ruß“ ans Herz. Ein Ruhrgebietsroman, der sich zuweilen in Klischees verliert und dem Köhnen alles bis auf die letzten zwei Seiten vorwegnimmt. An dieser Vorstellung scheiden sich dann doch ein wenig die Geister. Matthes bezeichnet „Ruß“ als Männerbuch und lockt Köhnen ein wenig aus der Reserve. Manfred Schneiders Frotzeleien über das schlechte Wetter im Ruhrgebiet, erheitern das Publikum. Löffler, selbst mit einer eher desinteressierten Körperhaltung, wirft in einem Nebensatz ein, dass Friedrich Christian Delius, der in diesem Jahr mit dem Büchner-Preis ausgezeichnet wurde, seine Promotion dem Held und seinem Wetter widmete. Trotz eines großen Potentials zur Diskussion, verhärten sich die KritikerInnen-Fronten nicht: Weiter auf Konsensfahrt. Und auch das von Schneider vorgestellte Buch „Blumenberg“ von Sybille Lewitscharoff, lässt alle KritikerInnen glänzende Äuglein bekommen. Im Publikum gibt es jedoch Gemurmel und die Frage steht im Raum, ob Schneider nun wirklich das Ende des Romans verrät. Ein Fauxpas, wenn er es denn tut. Er gibt sich alle Mühe, den Roman, der von dem deutschen Philosophen Blumenberg handelt, dem Lewitscharoff einen vermeintlich imaginierten Löwen zur Seite stellt, zu zerreden. Schmackhaft macht man dem Publikum den Roman in dieser Art ganz bestimmt nicht.
Schnell, die Zeit drängt
Die letzte Vorstellung in dieser Runde bestreitet Matthes mit „Der Hals der Giraffe“ von Judith Schalansky. Auch sie zergeht sich in einer ellenlangen Inhaltsangabe, die sie zudem vom Blatt liest. Matthes, das schwächste Glied in dieser KritikerInnen-Runde, wirkt neben der Grand Dame und den Experten des Germanistischen Instituts ein wenig deplatziert. „Der Hals der Giraffe“ wird Stein des Anstoßes zwischen Matthes und Köhnen. „Kürzen, kürzen! Da sieht man mal wieder die Verlagspolitik. Die Geschichte ist eine Novelle, aber bei weitem kein Roman“, ist von Köhnen zu hören. Löffler zeigt ihre Sympathie für die Protagonistin, die in ihrer Monströsität, fast amüsiert. Ein Blick auf die Uhr lässt allerdings eine weitere Auseinandersetzung im Keim ersticken, die Kurzvorstellungen müssen noch geschafft werden. Das Publikum ächzt und stöhnt. Sieben Buchempfehlungen müssen noch folgen. Löffler nahm sich gar das 1000 Seiten starke Buch „Herr der Krähen“ vor und konnte ihm bei weitem nicht gerecht werden. Nach dem Parforceritt wird das Publikum entlassen, die Bücher aus der ersten Vorstellungsrunde müssen nicht mehr gelesen werden. Man hat keinen Appetit mehr, man ist mit Romanen und deren Enden gesättigt.
Mehr Lametta mit Ranicki
Auch im nächsten Jahr wird das Literarische Quartett Bochum wieder kurz vor Weihnachten tagen. Wer sich an bissigen Kommentaren und herausfordernder Polemik erfreuen möchte, ist hier nicht gut aufgehoben. Diese Runde ist nicht auf Kontroversen und hitzige Diskussionen angelegt, einen großen Unterhaltungsfaktor kann man ihr nicht attestieren. Im Literarischen Quartett rund um Reich-Ranicki hätte es Lametta in rauen Mengen geregnet.
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