„Eine Wiedergutmachung kann nicht gewährt werden“, diesen Satz mussten ehemalige jüdische BochumerInnen oder deren ErbInnen nach dem Krieg ertragen. Nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus begannen im ganzen Land „Wiedergutmachungsverfahren“, welche die jüdischen Überlebenden und ErbInnen für die Zwangsenteignungen entschädigen sollten. In Bochum gestaltete sich das schwierig, da alle Versteigerungs- und Verkaufsprotokolle kurz vor Kriegsende durch Weisung „von oben“ vernichtet wurden. Ohne Beweis für den ehemaligen Besitz, wollten die „Wiedergutmachungsämter“ keine Entschädigung leisten.
Vortrag und Ausstellung
Zur Ausstellung „Aktion 3, Deutsche verwerten ihre jüdischen Nachbarn“, die noch bis zum 20. November im Bahnhof Langendreer gezeigt wird, hielt der Bochumer Historiker Hubert Schneider einen Vortrag über die „Entjudung“ des Wohnraums in Bochum. Vortrag und Ausstellung machen deutlich, wie Banken, Finanzämter, Gestapo und Bevölkerung bei der Enteignung und Verwertung zusammen agierten. Und wieder einmal, dass vor allem Schreibtischtäter, wie Finanzbeamte, nach dem Krieg erneut unterschriftsberechtigt und für die Wiedergutmachungen verantwortlich waren.
Die Ausstellung von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und dem Bahnhof Langendreer ist täglich ab 19 Uhr im Kino des Bahnhofs zu sehen. Auf Anfrage von Gruppen bietet der Bahnhof Langendreer auch tagsüber Führungen durch die Ausstellungen an.
Wer sich allerdings auf Spurensuche nach jüdischem Leben vor der Shoa begeben will, hat seit kurzem einen neuen Anlaufpunkt in der Innenstadt. Prominent platziert, mitten in der Fußgängerzone gegenüber des Modehauses Baltz, kann man sich an einer Informationstafel der evangelischen Stadtakademie schlaumachen. Die „Stele“ ist der zweite Teil eines Stationsweges zur Geschichte der deutschen Jüdinnen und Juden in Bochum.
Synagoge, Schule, Friedhof
Ihr Schwerpunkt sind die Anfänge des jüdischen Lebens in der Stadt. Sie enthält Informationen über die ersten Synagogen, die erste jüdische Schule, sowie den ersten jüdischen Friedhof in Bochum. Dabei bleibt es nicht beim nackten Fließtext, die Erläuterungen werden durch Dokumente ergänzt. Durch historische Stadtkarten des Bochumer Chronisten Carl Arnold Kortum etwa erfährt man, wo genau sich die Synagoge, die Schule und der Friedhof befanden. Kortum war es auch, der die älteste überlieferte Stadtgeschichte Bochums im Jahre 1790 niederschrieb. Er spricht zwar von einer „geringen Anzahl“ von Jüdinnen und Juden in der Stadt, deren Institutionen seien jedoch relativ stark vertreten gewesen.
So wurde bereits im Jahre 1744/45 die erste Synagoge durch eine Privatfrau in einem Hinterhof an der Schützenbahn, an der sich heute die Stele befindet, eröffnet. Diese blieb auch über hundert Jahre an Ort und Stelle. Ab 1861 dann wurde ein neues Gotteshaus an der heutigen Huestraße erbaut. Die alte Synagoge, von der nicht überliefert ist, ob es sich um einen Neubau oder ein renoviertes bestehendes Haus gehandelt hat, wurde fortan als Lagerraum verpachtet.
Lange Tradition jüdischen Lebens
Interessant sind ebenso die Infos zur ersten jüdischen Schule in Bochum. Wir erfahren, dass sich die Schule ebenfalls in der Schützenbahn befunden hat. Ein – nicht datierter – Zeitungsartikel berichtet über den (damals aktuellen) Umzug der „Alten Judenschule“ (so der Titel). Außerdem reflektiert er die bisherige Präsenz des Judentums in Bochum: „Bochum hat seit dem Mittelalter immer jüdische Mitbürger gehabt“, so steht dort in Frakturschrift geschrieben. Anno 1853 wurde demnach die erste „israelitische Volksschule“ eröffnet. Im nebenstehenden Info-Text wird des weiteren der „erste geprüfte jüdische Volksschullehrer“, ein Marcus Moses, vorgestellt. Daneben befindet sich der Abdruck eines handschriftlichen Briefes von 1829, unter den diverse Menschen, unter anderem Moses selbst, ihren kunstvollen Otto gesetzt haben. Ob es sich hierbei um eine amtliche Urkunde zur Bestätigung Moses´ als anerkannten Lehrer handelt, kann nur vermutet werden. Das nicht mehr gut lesbare Schriftstück ist leider nicht kommentiert. Moses unterrichtete jüdische Kinder, zunächst mangels Räumen, in seiner Privatwohnung.
Am weitesten zurück aber liegt die Eröffnung des ersten jüdischen Friedhofs in der Stadt. Bereits ab 1722 fanden hier verstorbene Bochumer Jüdinnen und Juden ihre letzte Ruhe. Der Friedhof befand sich damals am Buddenbergtor. Für eine „Jahrespacht“ von „2 Taler(n)“ hatte die Gemeinde hier einen würdevollen Ort der Beisetzung eingerichtet, denn das Judentum schreibt für seine Toten ein „ewiges Ruherecht“ vor, so heißt es im Infotext. Dies bedeutet, dass Tote „nicht innerhalb bebauter Ortschaften“ begraben werden dürfen.
Exakt hundert Jahre später zog der Friedhof dann an den Hang des Lohbergs um. Dem Text beigefügt sind Fotos der zwei einzigen erhaltenen Grabsteine des ursprünglichen Friedhofs. In einer Kurzbiographie werden die beiden Verstorbenen aus dem Bochumer Establishment vorgestellt.
Der Kreis schließt sich
Der Effekt der Kurz-Information in der Fußgängerzone ist gelungen. Neben der Historischen Stadtkarte Kortums befindet sich ein aktuelles Luftbild der Innenstadt. Man kann also das historische Bochum des 18. Jahrhunderts mit dem heutigen Stadtbild vergleichen. Dabei merkt man, dass man „mitten drin“ steht, in der ehemals jüdischen Nachbarschaft. Dabei wird eindrücklich deutlich, wie verheerend die Vorgänge ab 1933 auch in Bochum für die jüdische Gemeinde waren. Das sogenannte „Kaufhaus Kortum“ etwa heißt eigentlich „Kaufhaus Alsberg“. Im Zuge der Enteignung und Deportierung der jüdischen EigentümerInnenfamilie 1933, wurde es bereits ein Jahr später „arisiert“ und nach dem Bochumer Chronisten Kortum umbenannt. Die Familie wurde im NS-Ghetto Łódź ermordet. Damit schließt sich der Kreis von Vielfalt und Vernichtung. Zu einem würdigen Gedenken in der Stadt sollte daher auch gehören, die konkreten Fälle in der Stadt zu benennen und, durch eine Rücknahme der Umbenennung der „arisierten“ Gebäude, wenigsten symbolisch, „Wiedergutmachung“ zu leisten.
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