Heinrich Lerchenwald ist Bizarromant – für eine Spezialeinheit untersucht er zurückgekehrte Seelen und die gefährlichen Realitätsverzerrungen, die sie verursachen. Er ist Professor, Lebemann, Junggeselle und Tee-Connaisseur. Ihm zur Seite stehen die Forensikerin Frau D. und Richard Hirschmann, eine Dampfmaschine auf zwei Beinen. Nachdem eine Totenseele in einem alten Anwesen eingebrochen ist, führen sie die Spuren immer tiefer in die Verästelungen der Landsberger Gesellschaft.
Für Zeichner und Autor, Felix Mertikat und Benjamin Schreuder, ist dies bereits die zweite Zusammenarbeit. Mit ihrem Debüt „Jakob“ legten sie im vergangenen Jahr eine makaber-melancholische Comicfabel vor, die ihnen auf der Frankfurter Buchmesse den Sondermann-Preis für die besten Newcomer einbrachte.
„Was sagt ihr Globengraph,
Herr Bizarromant?“
„Steam Noir: Das Kupferherz 1“ soll der Beginn einer vierteiligen Saga sein. Der Titel deutet auch auf die zweite Inspirationsquelle hin: Film Noir. So werden wir ZeugInnen einer klassischen Detektivgeschichte, die sich jedoch in diesem Band auf einen Reiseplot beschränkt, um uns in die Welt einzuführen. Der Zeichenstil ist hierbei von Grau- und Brauntönen bestimmt; feine Charakterdarstellungen heben sich von verwaschen gemalten Hintergründen ab. Die Panels werden durch einen dynamischen, schwarzen Hintergrund separiert.
Der Comic verfügt über die klassischen Elemente, man könnte sagen Klischees, des Steampunks. Das ist sowas wie das stilistische Bastardkind aus Cyberpunk à la „Blade Runner“ und Goth-Kultur. ÄnhängerInnen dieses Genres vermischen moderne Technik mit der Mode und den Materialien des viktorianischen Zeitalters. Handys werden kurzerhand mit Dampfrohren, Kolben und Zahnrädern versehen. Die Abenteuerromantik von Jules Verne und H.G. Wells ergänzt die Nostalgie für ein idealisiertes Zeitalter.
„Steam Noir“ versucht sich allerdings nicht in Großbritannien, sondern im wilhelminischen Kaiserreich. Im ganzen Comic kommt nicht ein einziges Wort Englisch vor. Wenngleich Namen, Architektur und Manierismen an Preußen um die Jahrhundertwende erinnern, ist das Werk in der Fantasiewelt Landsberg verortet. Dabei handelt es sich um Inseln, die in atembarem Äther schwimmen, und über ein Stahlgerüst miteinander verbunden sind. Landsberg und der zentrale Staat Januskoogen, eine konstitutionelle Monarchie, sind Felix Mertikats Pen&Paper-Rollenspiel „Opus Anima“ entnommen, was man sowohl im Guten wie im Schlechten merkt. Zunächst werden uns enorm viele Eigenheiten der Welt präsentiert. Irgendwann reicht es aber mit der Exposition ohne erzählerische Weiterführung. Am Ende des Bandes stolpert man gar noch über einen dreiseitigen Anhang, in dem der Hintergrund weiter ausgeführt wird. Das braucht man auch, denn was der Leonardsbund, der kalendarische Orden und die Blinden Tage sind, wird in der Handlung selber nie erläutert. Eine schriftliche Anleitung für die Welt ist jedoch kein gutes Modell fürs Geschichtenerzählen.
Die ganze Lektüre über kommt man sich vor, als würde man durch ein Kuriositätenkabinett geführt – auf jeder Seite ein neues Obskurum. Dabei kommt die eigentliche Erzählung etwas kurz. Mit einem kultivierten männlichen Einzelgänger als Protagonisten sowie einem Team bestehend aus einer attraktiven Frau und einem übertrieben fremdartigen Sidekick sind nicht gerade die innovativsten Charaktere geschaffen worden. Darüber hinaus geben sie sehr wenig von ihren Motivationen und Biographien preis.
Der Klappentext beschreibt „Steam Noir“ als Mischung aus Mike Mignolas Comic „Hellboy“ und Schauermärchen von E.T.A. Hoffmann. Mit solchen Meisterwerken wurde leider etwas zu hoch gegriffen, dafür fehlt es hier einfach an Substanz. Comicfans werden daher wohl eher etwas enttäuscht werden. Leute, die am Wochenende Fliegerbrille und Lederhandschuhe rauskramen, können aber der einzigartigen Welt von „Steam Noir“ sicherlich etwas abgewinnen. Wie Steampunk selber bleibt der Comic in obskuren Weltdetails stecken, ohne dass wir erfahren, was das Ganze eigentlich soll.
Felix Mertikat, Benjamin Schreuder: „Steam Noir: Das Kupferherz 1“ Cross Cult Verlag. 2011. 64 S. 16,80 Euro
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