Ja, aber…
(nh) In Hamburg endete am vergangenen Samstag der fünftägige Wettbewerb zur 15. Poetry-Slam-Meisterschaft – der Pforzheimer Slammer Nektarios Vlachopoulus konnte sich im Finale mit einer pointierten Liebeserklärung an sein eigenes Ego gegen den Konkurrenten und Vorjahressieger Patrick Salmen aus Wuppertal durchsetzen – auch ein Bochumer war unter den FinalistInnen.
Poetry Slam, was ist das eigentlich? Die Rahmenbedingungen für einen Slam oder einen DichterInnenwettstreit sind klar abgesteckt, die KontrahentInnen gehen mit selbstgeschriebenen Texten in den Wettbewerb, müssen dabei mit ihrem Vortrag in einer vorgeschriebenen Zeitbegrenzung bleiben und stellen sich dem Publikum, das die Performance im Anschluss mit Punktetafeln von 1 bis 10 bewertet. Musikinstrumente oder Verkleidungen sind den SlammerInnen nicht gestattet. Der Unterschied zu einer traditionellen Lesung oder einem Open Mic, liegen hierbei auf der Hand – der Fokus liegt ganz klar auf dem Wettbewerbsformat, bei dem am Ende der Veranstaltung ein/e GewinnerIn gekürt wird.
Slamkultur in Bochum und Herne
Auf myslam.net sind mittlerweile 456 Poetry Slam Veranstaltungen im deutschsprachigen Raum verzeichnet. Auch in Bochum kann man den WortjongleurInnen beim Poetry Slam in der Kneipe Freibeuter oder bei der „Slamnation meets“ im Museumsforum zuhören und zuschauen. Bekanntester Vertreter der Poetry Slam Szene in Bochum ist Sebastian23, der ebenfalls bei der deutschen Meisterschaft in Hamburg im Finale um Ruhm und Ehre kämpfte. „Was für ein wilder und schöner Abend“, ließ Sebastian23 nach dem Finale am Samstag verlauten. In Bochum moderiert er den „Dead Or Alive Slam“ im Bochumer Schauspielhaus, bei dem „Poetry Slammer, die Rampensäue der Gegenwartsliteratur“ gegen tote DichterInnen antreten, deren Texte von Ensemblemitgliedern des Schauspielhauses vorgetragen werden. Das Format geht am 2. Dezember um 20.30 Uhr bereits in seine zweite Runde. Sebastian23 ist jedoch nicht nur auf der Bühne des Schauspielhauses zu sehen, sondern auch beim „Sprechreiz Slam“ in den Herner Flottmann-Hallen.
Ponyhofgedichte
Während beim „Dead Or Alive Slam“ ausgewählte hochkarätige SlammerInnen gegen die toten DichterInnen antreten und ein hohes Maß an Professionalität an den Tag gelegt wird, kann dem Publikum des offenen Slams in den Flottmann-Hallen die ein oder andere Stilblüte der DichterInnen zu Gehör kommen. Da kann es schon einmal passieren, dass den zittrigen KontrahentInnen im Angesicht des Mikrofons und des Publikums die Stimme versagt oder der vorgetragene Text vor Ponyhof-Romantik oder Herz-Schmerz-Lyrik nur so strotzt – und das Publikum eher zur Fremdscham animiert ist, als zum verzückten Grinsen und begeistertem Klatschen. Ungeübte DichterInnen tun sich oft noch schwer, gut strukturierte Texte zu Papier zu bringen, die inhaltlich und in der Performance zu überzeugen wissen. Auffallend ist jedoch auch, dass sich immer mehr SlammerInnen an einem gattungstypischen Sprachduktus orientieren und das Publikum eher einen pointenreichen und lustigen Text mit guten Bewertungen goutiert, als einen nachdenklichen und thematisch düsteren Text.
Nein, aber…
(CMP) „Ach, Poetry Slams sind doch blöd“, so heißt es nicht selten, und doch fällt es vielen KritikerInnen oft schwer, zu begründen, woher diese Ablehnung rührt. Hier ein wenig Rüstzeug für die nächste Meinungsschlacht.
Beschäftigt man sich mit dem Phänomen der Poetry Slams, so sticht gleich zu Beginn ein Wesensmerkmal ins Auge: diese Events sind omnipräsent. Was Ende der 80er in Chicago seinen Anfang nahm, scheint über das richtige Format zu verfügen, noch in der kleinsten Kaschemme das Kulturprogramm zu beflügeln. Viele Gastronomie-BetreiberInnen wollen auf dieses umsatzstarke Spektakel nicht verzichten. Doch auch in renommierten Kulturstätten hat der Poetry Slam längst Einzug gehalten. So etwa im Schauspielhaus Bochum, wo man sich gerne trendy und urban gibt. Was also ist dran an diesem Nimbus der Hipness? „Ne ganze Menge“, wäre eine mögliche Antwort. Poetry Slams können aufgrund ihrer virtuosen Performance begeistern. Zudem sind sie in ihrer Sendung nicht eindimensional, sondern verfügen über ein breitgefächertes Klangareal. Da gibt es etwa den schlagfertigen Sebastian 23, der manche RapperIn alt aussehen lässt oder Andy Strauß, der so sympathisch auf psychisch gestört machen kann. Wer es lieber feminin mag, dem sei die kesse Franziska Holzheimer ans Herz gelegt oder Anke Fuchs, die so angenehm problemorientiert hauchen kann. Allesamt sind sie PreisträgerInnen ihres Genres. Denn dies ist das zweite Wesensmerkmal, das gleich ins Auge sticht: bei einem Poetry Slam gibt es GewinnerInnen und VerliererInnen. Das Publikum hat das letzte Wort. Doch was zunächst super demokratisch klingt, bringt leider auch die meisten Probleme mit sich.
Marktwirtschafts-Mimikry
Gibt es eigentlich noch den sensiblen Dichter, der Angst vor öffentlichen Auftritten hat und bei Ehrungen Scham verspürt? Auf der Poetry-Slam-Bühne wird man ihn nicht finden. Dort regiert der Geltungsdrang, was in Abgrenzung zur erbarmungswürdigen Betroffenheitslyrik natürlich schwer ok ist, aber mit Poesie oft wenig gemein hat. Es ist eben ein ganz wesentlicher Unterschied, ob ein Text zur Lektüre oder zum Vortrag geschrieben wurde. Auf Seiten der Rezeption erklärt sich das am leichtesten: Poesie muss niemandem gefallen wollen und wird trotzdem ihre LiebhaberInnen finden. Ein Poetry-Slam-Text hingegen wirbt um die Gunst eines nicht selten literarisch unmündigen Publikums, und das oft auf Kosten der Literarizität. Erweisen sie sich als wirkungsarm, werden zu Gunsten der Performanz Aspekte der Innerlichkeit und Differenz leichthin über Bord geworfen, wie jeder weitere Ballast, der die Party stören könnte. Ein Poetry-Slam-Text ist von Anfang an korrupt, unwahr und allein auf Effekthascherei aus, dabei natürlich stets unterhaltsam, nicht ohne ein Sprachtalent und auf der Bühne eloquent vorgetragen. Champion wird der Slammer, der am geschicktesten die Erwartungen des Publikums zu befriedigen vermag. So etwas darf man Marktwirtschafts-Mimikry nennen, Literatur jedoch hat eine ganz andere Funktion. Aber vielleicht ist ein Poetry Slammer einfach nur ein Comedian, wie manch ein Zeitgenosse glauben will. Doch auch das kann nicht sein, denn die Comedians erzählen viel, die jungen PerformerInnen aber verzichten bei ihren Vorträgen gerne auf Narration, um dem Publikum vorzugaukeln, bei ihren Werken würde es sich wirklich um Gedichte handeln. Also was ist ein Poetry Slammer, wenn er oder sie weder DichterIn noch LiteratIn noch Comedian ist? Die Antwort mag verblüffen: Ein Poetry Slammer ist ein verhinderter Sänger, der es versteht publikumswirksame Texte zu schreiben und diese gleichsam vorzutragen. Aber warum gründet er dann keine Band? Gegenfrage: Warum sollte er? – Läuft doch ganz gut für ihn.
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