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1943 geboren, bekannte sich Kittler zur 68er Generation, las jedoch lieber Hegel als Marx und demonstrierte in einer Zeit der politischen Revolte nicht mit seinen Kommilitonen auf der Straße – zum einen aus Faulheit und zum anderen aus Konservatismus, wie er später in einem Interview zugeben wird. Er hörte stattdessen lieber Musik (Jazz, Pink Floyd und Jimi Hendrix) und empörte sich mit seiner Medientheorie schließlich doch noch auf eine eigene vehemente Weise. Scharenweise pilgerten Studierende, die so genannte „Kittler-Jugend“ auch auf dem Bochumer Campus zu den Veranstaltungen dieses merkwürdigen Professors, der in seinen Seminaren über Lötkolben und Synthesizer sinnierte.
Ursprünglich in der Romanistik beheimatet, hatte der spätere Medientheoretiker auch Germanistik studiert und sich erst später in die Philosophie eingearbeitet. Was ihn vor allem interessierte, waren Kulturtechniken, insbesondere Aufschreibesysteme. Diese waren auch zentrales Thema seiner Habilitationsschrift. Nach einem zweijährigen Verfahren waren 13 statt der üblichen zwei Gutachter verschlissen und Kittlers Arbeit „Aufschreibesysteme 1800 – 1900“ im Jahr 1984 schließlich angenommen.
Im Herzen immer Literaturwissenschaftler geblieben, beschäftigte sich Kittler schon früh mit Theorien französischer Poststrukturalisten wie Jaqces Lacan oder der Machttheorie von Michel Foucault. In einer Zeit, in der etwa die Schriften von Jacques Derrida in Deutschland noch nahezu unbekannt waren, übersetze er seine Aufsätze ins Deutsche. Zudem versuchte er in den 1970er Jahren als einer der ersten, die auf Foucault zurückgehende Diskursanalyse in der Literaturwissenschaft zu etablieren. „Viele meiner Kollegen lesen immer nur die heiligen Texte einer Epoche. Durch diese Haltung nehmen sie an, Goethes Geist habe persönlich die Gedichte diktiert. Macht man sich aber die Mühe, in einer öffentlichen Bibliothek, und nicht bloß in seiner privaten, querbeet zu lesen, was um 1800 alles geschrieben wurde, kommt man zu einer ganz anderen Einschätzung. Der Eindruck ist dann unabweislich, daß eine diskursive Regel auch hinter Goethe steht“, so Kittler.

Computer, Kybernetik & Co.

Im Laufe seines Lebens verschaffte Kittler so einer neuen Art der intellektuellen Auseinandersetzung Raum, indem er anmahnte, zunächst die materiellen Voraussetzungen geisteswissenschaftlicher Auseinandersetzung zu reflektieren. Seine erste Professur führte ihn nach Bochum, wo er von 1987 bis 1993 geforscht und gelehrt hat. Während dieser Zeit legte Friedrich Kittler den Grundstein für die Bochumer Medienwissenschaft.
Als Herausgeber des Sammelbandes „Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften“ machte sich Kittler 1980 nicht nur Freunde. Schon allein der Titel versetze WissenschaftlerInnen aller Couleur in Präventivpanik. Plötzlich fürchteten diese, Kittler wolle vielleicht nur noch Natur- statt Geisteswissenschaften oder ihnen womöglich die methodischen Eigenheiten ihrer Disziplinen streitig machen.
Was also wollte dieser Mann eigentlich? „Im Kern ging es aber um den Wunsch, daß es auch in den Wissenschaften von der Interpretation wahre und falsche Sätze geben möge“, so Kittler in einem Interview. Er wollte nicht zulassen, dass die Kulturwissenschaften ihren Deutungsanspruch ohne Weiteres an die Ingenieurswissenschaften abtreten. Deswegen beschäftigte er sich mit nahezu jeder Art von Technik und befragte sie in ihrer Materialität danach, wie genau sie das menschliche Leben beeinflusst. Kittler rückte Schrift und Zeichen, Computer und UKW, aber auch elektrische Schaltungen in den Fokus kulturwissenschaftlicher Aufmerksamkeit. Was sich ForscherInnen und WissenschaftlerInnen aktuell kaum noch trauen, machte Kittler aus: Er eignete sich eine eigene Meinung an und damit den Mut, diese bei Bedarf in wissenschaftlichen Auseinandersetzungen kundzutun. Damit gehört Friedrich Kittler zu den wenigen, die mit ihrem Denken, mit Leidenschaft und Wagemut den Zeitgeist einer ganzen Epoche zu prägen vermochten.

Friedrich Kittler verstarb am 18. Oktober 2011 in Berlin im Alter von 68 Jahren.

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