„Das wird schon wieder“, sagt Felix. „Zwei Wochen muss ich jetzt mit nem Gitter vor dem Gesicht spielen, dann ist wieder alles o.k.“ Trotz Verletzung lässt er sich das erste Saisonspiel des Herner EV nicht nehmen. Denn es geht gegen Aachen, und um viel mehr als nur um ein paar Punkte. Anderswo als Randsportart belächelt, hat Eishockey in Herne eine 40jährige Tradition.
750 Fans sind gekommen. In der engen Halle hören sie sich an wie einige Tausend in einer Fußballarena. In den vorderen Reihen turnen Kinder herum, dahinter stehen die TrikotträgerInnen. Die Jugendlichen von der Ultra-Crew „Natural Born Herner“ sind auch da, und jede Menge BiertrinkerInnen in zivil sowieso.
Sind diese Fans der Grund dafür, dass Spieler wie Felix Kolewe bereit sind, unten auf dem Eis alles zu geben? Am Geld kann es nicht liegen, denn das ist in Herne wieder mal knapp. Immerhin müsse er für den teuren und materialintensiven Sport nichts drauflegen, sagt Kolewe. Trotzdem schielt der RUB-Student manchmal etwas neidisch zum Fußball, wo bereits eine Verpflichtung in der sechstklassigen Westfalenliga als lukrativer Nebenjob durchgehen kann.
Dass die Mannschaft trotzdem motiviert ist, könnte auch am Hauch von Geschichte liegen, der durch die Gysenberghalle weht. Oder schlurft – zum Beispiel in Gestalt von ‚Oppa’, dem Mannschaftsbetreuer des Herner EV. Schon vor Jahrzehnten hat er die Trikots der Jugendmannschaften gewaschen. Wie ‚Oppa’ richtig heißt, kann mir hier niemand sagen. Ist auch nicht so wichtig, denn unter ‚Oppa’ kennt ihn hier jeder. An einem Interview hat das Herner Urgestein wenig Interesse. „Wenn ich kaputt bin, lieg’ ich da unterm Tor“, sagt der alte Mann mit dem runden, runzeligen Gesicht nur, und schlurft weiter.
Es sieht alles nach einem gelungenen Saisonauftakt aus – bereits nach dem ersten Drittel führt der HEV gegen eine überforderte Aachener Mannschaft mit 5:0. Doch dann das: Von einigen Stehplätzen ertönen plötzlich rassistische Gesänge. „Wir hassen die Türkei“, ist unter anderem aus einem Block zu hören. HEV-Fans, die in der Nähe stehen, berichten sogar konsterniert davon, dass Einige die Herner „Sieg“-Rufe jeweils um ein „Heil!“ ergänzt hätten. Der Ordnungsdienst der Halle wirkt überfordert. Jedenfalls kann er die Urheber der Nazi-Rufe nicht dingfest machen, obwohl allgemein bekannt ist, dass es sich dabei um eine Straftat handelt, die vor Gericht mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden kann.
Frank Schäfer, der 1. Vorsitzende des HEV, zeigt sich deutlich verärgert und betroffen – und kündigt postwendend Konsequenzen an: „Wir werden bei der Polizei Anzeige erstatten. Für solche Leute ist bei uns kein Platz.“ Auch werde man die HEV-Fans bitten, sich der Polizei als ZeugInnen zur Verfügung zu stellen. Über weitere Maßnahmen werde man auch mit den Fans beraten, sagt HEV-Sprecher Jesper Dahl-Jörgensen.
Die Spieler auf dem Eis lassen sich von den unschönen Szenen auf der Tribüne nicht beeindrucken und spulen weiter ihr Programm ab. Schließlich gibt es Routiniers im Herner Team – etwa den 41jährigen Eishockey-Oldie Jan-Anton Baron, der schon zu Beginn der 1990er Jahre für Kassel in der 2. Bundesliga stürmte. Und natürlich ist da der neue Herner Top-Star: Der Finne Antti-Jussi Miettinen, der bereits als Profi für Tampere in der finnischen ersten Liga auf Punktejagt ging.
Ansonsten ist es ein sehr junges Team mit Spielern aus der Region, das in Herne den Neuanfang wagt. Noch vor wenigen Monaten war völlig unsicher, ob heute überhaupt noch Eishockey auf dem Gysenberg gespielt wird. Zum Ende der vergangenen Saison hatte den Verein nämlich eine Hiobsbotschaft erreicht: Der Duisburger Unternehmer Ralf Pape kündigte an, sich aus dem Standort Herne zurückzuziehen. In den vergangenen Jahren hatte der Chef des damaligen Ligenkonkurrenten Duisburger Füchse einiges in Herne investiert. Unter anderem kaufte er die marode Eishalle. Sein Plan: Herne sollte eine Art Ausbildungsstandort für ein höherklassiges Team aus Duisburg werden. Doch die Duisburger Füchse verpassten wiederholt den Sprung in eine höhere Liga. Daher zog Pape den Schlussstrich und schickte die Herner Eishallen-GmbH in die Insolvenz.
Ohne Eis kann man kein Eishockey spielen, das war auch Michaela Reinhold sofort klar. In ihrem anderen Leben ist sie Arzthelferin und Mutter. In der Gysenberghalle feuert sie seit 28 Jahren die Mannschaften an. Zunächst unorganisiert und in informellen Freundeskreisen – bis vor sechs Jahren. Weil alle anderen Fanclubs männerdominiert waren, gründete sie gemeinsam mit Freundinnen einen eigenen: die „Eiskalten Engel Herne“. Anfangs ein Kuriosum, sind die Engel inzwischen zum integralen Bestandteil der bunten Herner Fanszene geworden. „Als der Verein diesen Sommer wegen der Hallen-Insolvenz auf der Kippe stand, war ich sauer und enttäuscht“, sagt Michaela Reinhold. „Aber dann haben wir alles dafür getan, unseren HEV zu retten.“ Sie sammelten Spenden und organisierten eine Demonstration zum Sommerfest der SPD. „Wir haben sogar unsere Kinder mit Blumen zum Insolvenzverwalter geschickt“, erinnert Michaela Reinhold sich.
Mit einer enormen Kraftanstrengung gelang die Rettung. Der Herner EV hat die Halle komplett vom Insolvenzverwalter angemietet und vermarktet sie eigenständig. Wenn das finanziell gutgeht, will man die Halle mittelfristig kaufen.
Eishockey in Herne, das ist viel mehr als nur die erste Herrenmannschaft. Über hundert NachwuchsspielerInnen in den Bambini- bis Juniorenklassen, dazu noch gut 40 Aktive in dem Damen- und dem Hobbyteam. Und natürlich die Fans und Familien, die dazu gehören. Für sie alle ist die erste Mannschaft aber das Aushängeschild. Und das hängt seit heute ein ganzes Stück höher: Mit 15:0 fegen die Herner die Aachener Grizzlys vom Eis. „Super gespielt“, ruft eine Gruppe von vielleicht zehnjährigen Jungen und Mädchen den Spielern nach dem Spiel zu. Auch sonst gibt es viel Applaus. In der Vereinsführung ist man dagegen nicht restlos glücklich – wegen der rechten Rufe, die in der Halle eben auch zu hören waren. Andere Sportvereine, auch in der Region, schrecken zuweilen vor sofortigen Konsequenzen zurück, wenn extrem rechte Gruppen oder Einzelpersonen ins Stadion kommen und austesten wollen, womit sie durchkommen. Anders offensichtlich beim Herner EV. Auf dem Gysenberg ist man fest entschlossen, sich die bunte Vereinskultur und die außergewöhnliche Aufbruchstimmung nicht kaputt machen zu lassen.
Nächste Heimspiele des Herner EV:
Freitag, 14.10. : HEV – ESC Darmstadt
Freitag, 21.10. : HEV – Dinslakener Kobras
Jeweils 20 Uhr, Gysenberghalle Herne
Eintritt: Stehplatz 8 Euro, (erm. 5 Euro)
Infos: www.herner-ev.com
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