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Es ist Samstag, und Matthias Schamp hat zu einer Führung entlang des Museums­zaunes geladen. Gut 20 BesucherInnen sind gekommen. Sie erleben eine Überraschung: Eine Reihe von Kunstwerken, die Schamp bereits bei der Eröffnungszeremonie vor einer Woche über den Zaun geworfen hatte, liegen wieder davor – etwa der bemalte Porzellanteller des bekannten Zeichners und Grafikers Matthias Beckmann, beschriftet mit den Worten „Werfen verwandelt die Dinge in Stücke vergangenen Glanzes.“ Wenige Tage später hatte ihn ein Dieb dann zusammen mit einer Reihe von weiteren Kunstwerken entwendet. Zu seinem Unglück wurde er inflagranti ertappt und fotografiert. Dennoch sei „einiges an Druck“ nötig gewesen, um die Werke zurück zu bekommen, erklärt Schamp. „Ich musste mit einer Anzeige drohen und hätte die auch gestellt.“ Bei der ersten Wurfaktion war ausgerechnet der Beckmann-Teller unbeschädigt geblieben. Nun, beim Wurf Nummer zwei, läuft endlich alles wie geplant: Mit einem lauten Klirren zerschellt er in der Brache. Auch andere Kunstwerke finden so den Weg zurück über den Zaun, etwa die Performance-Fotos von Roi Vaara.

Immer diese öffentliche Sicherheit

Wem gehören Kunstwerke, die einfach so auf ein städtisches Gelände geworfen werden? Die Anzeige und ein eventueller Prozess wären „spannend geworden“, gibt Schamp zu. Schließlich stehen die Fragen nach Eigentum, Verfügungsgewalt und Verantwortung von Anfang an im Zentrum seiner künstlerischen Intervention. Ist es statthaft, dass die Stadt ein in öffentlichem Besitz befindliches und Gelände der Öffentlichkeit entzieht, indem sie einen massiven Metallzaun errichtet? Als Begründung dafür dient in feinstem BürokratInnendeutsch eine städtische „Verkehrssicherungspflicht“ – und im politischen Raum der Hinweis, dass man Spritzen von Drogensüchtigen auf dem Gelände gefunden habe. „Jetzt sitzen die Leute einfach woanders, geholfen ist damit niemandem“, sagt Schamp. Und er zeigt über den Zaun, wo, wenn man genau hinsieht, der „Spritzturm mit Wippe“ des niederländischen Künstlers Roel van Timmern zu entdecken ist: Ein Nachbau des Kirchturms der St. Georgskirche in Hattingen, gestützt von einem Gerüst aus Spritzen. „Die Politiker schüren Angst, um Sicherheit verkaufen zu können“, kommentiert Schamp. Und plötzlich wirkt der schnöde Zaun zwischen Lidl und Riff-Halle nicht mehr wie eine Bochumer Lokalpetitesse, sondern wie ein großes Symbol – dafür, dass politische Macht und Herrschaft nicht nur an den hochgesicherten EU-Außengrenzzäunen von Ceuta und Melilla massiv das Leben verwalten, regulieren, und drangsalieren, sondern auch bereits dann, wenn der Bochumer Rentner seinen Hund nicht mehr auf einer städtischen Brache spazieren führen darf, und Kinder nicht mehr an Orten spielen dürfen, die Schamp die „Paradiese unserer Kindheit“ nennt.

Mikro, makro, harmlos, gut

Diese Dimension ist Matthias Schamp besonders wichtig. „Die Künstlerinnen und Künstler kommen aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland. Die interessieren sich natürlich nicht für Bochumer Lokalpolitik, sondern haben mitgemacht, weil sie etwas Exemplarisches darin erkennen.“ Das Exemplarische ist die begrenzte Regelüberschreitung, eine Aneignung der abgesperrten Brache, für die der Künstler niemals eine Genehmigung erhalten hätte, hätte er vorher gefragt. Dass es für die Aktion von ganz vielen Seiten in Bochum Beifall gab, ist ermutigend. Denn so harmlos die Intervention auf den ersten Blick erscheint, so wirksam stellt gerade diese Harmlosigkeit politisch-bürokratisches Handeln auf einer Mikroebene in Frage. Und das nährt eine vielleicht nicht ganz unbegründete Hoffnung: Wenn bewusst wird, dass Herrschaftsverhältnisse unser Leben in allen Einzelheiten durchziehen, dann ist es bis zur Debatte über die großen Zusammenhänge nicht mehr weit. Auch das zeigt Schamp jedenfalls überzeugend bei seinen wöchentlichen Führungen entlang am Zaun des Brachland-Museums.

Situatives Brachland-Museum Bochum
Nähe Konrad-Adenauer-Platz 3
Ausstellung bis 2. Oktober 2011
Nächste öffentliche Führung mit Matthias Schamp: Sonntag, 18. September, 15 Uhr, Treffpunkt: Einfahrt zur Riff-Halle

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