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„Als wir die Session ins Leben gerufen haben, ging es einfach nur darum, einen regelmäßigen Termin für Live-Rap in Bochum an den Start zu bringen“, fasst der Bochumer Rapper Meller, einer der Hauptorganisatoren, den ursprünglichen Ansatz zusammen.  Was zunächst nach einem simplen Plan klingt, hat sich mit der  Zeit verselbstständigt: „Die Erwartungen sind mehr als erfüllt worden“, so Meller weiter. Auch ohne großartige Werbung habe es die Veranstaltung zu Ruhrpott-weitem Ruhm gebracht.
Und tatsächlich: Wer einmal auf einer „Stammtisch-Session“ war, ist ganz sicher KünstlerInnen aus dem gesamten Ruhrgebiet und darüber hinaus begegnet. Gängige Rap-Klischees werden auffällig selten bedient. Hier werden keine „Mütter gefickt“, niemand wird „abgezogen“, keine ZuhälterInnen, nirgends. Es stehen sich nur ein paar gute MCs gegenüber, die sich mit immer neuen Reim- und Flowvariationen gegenseitig immer höher pushen – und dabei Freunde bleiben.
„Hip-Hop ist unser Ding, wir lieben es und versuchen, die Fahne oben zu halten“, erklärt auch Timo, einer der Unterstützer der Session. Er und sein Kumpel Meller wollten ihren Beitrag dazu leisten, Hip-Hop als Kultur wieder aufleben zu lassen. Platz für die im Hip-Hop sehr verbreitete postpubertäre Macho-Schiene ist hier nicht. Auch wenn Timo einräumt, dass Rap einen gewissen Unterhaltungswert haben müsse. Da dürfe es ruhig auch mal „Schwachsinn sein, der da erzählt wird“. Tatsächlich halten sich Form und Inhalt bei den Veranstaltungen die Waage. Bei aufwändig konstruierten Rap-Stilen wie dem Doubletime-Rap, also dem Rappen in doppelter Geschwindigkeit, darf die Aussage auch mal auf der Strecke bleiben. Dennoch: Mit Tracks über `Bitches´ kann auch der Mülheimer Rapper Bud Mh nichts anfangen: „Meiner Meinung nach alles Mitläufer, die zu viel Zeit haben.“ Mehr fällt ihm dazu nicht ein. Warum auch? Viele vom harten Kern des Stammtisches sehen in dem, was sie künstlerisch machen, etwas ganz anderes als das, was die Mainstream-Medien als Hip-Hop verkaufen. Hier geht es nicht um das bloße Sich-Produzieren, bei dem Rap nur ein nützliches Vehikel ist.

 

„Wir connecten Bochum, Dortmund, Bottrop und Witten, denn sie wissen, sie pissen in den selben Pott wenn wir pissen“  Proton

Den Beteiligten ist offenbar wichtig, was sie hier tun. Viele sind seit über zehn Jahren dabei, für Anfang-Zwanzigjährige fast die Hälfte ihres Lebens. Meller und Timo, die seit vielen Jahren befreundet sind, merkt man an, dass die ganze Sache eine Herzensangelegenheit ist. Dieser Umstand macht sich auch im Konzept der Veranstaltungen bemerkbar: „Der Eintritt muss frei sein, jeder der will, soll mitmachen können – und dennoch soll die Rap-Qualität hoch sein“. Das ist gelungen, und es hat sich rumgesprochen. „Es hat sogar dazu geführt,  dass in umliegenden Städten ähnliche Veranstaltungen ins Leben gerufen wurden“.
Neben vielen Kollaborations-Songs unter den MCs sind auch handfeste Projekte entstanden. Als Bud Mh beispielsweise vor circa zwei Jahren noch ohne DJ unterwegs war, lernte er bei einer der ersten Veranstaltungen den Ruhrpott-DJ Cutoon kennen. Anfangs  hat man sich nur für ein paar Gigs abgesprochen. Als die beiden aber mit ihrem ersten gemeinsamen Auftritt einen Volltreffer landeten, entschied man sich zur weiteren Zusammenarbeit.
Die Veranstaltungsreihe „Supakool“, man muss es sich als regelmäßige Rap-Jams mit explizitem Spaßcharakter vorstellen, war geboren.  „Seitdem haben wir jedes Wochenende Auftritte und fette Parties.“ Bud Mh erzählt, wie ihn der Stammtisch aus der künstlerischen Isolation befreit hat: „Bis dato kannte ich keinen von den Jungs die regelmäßig dort sind“.
Kennengelernt haben sich dort auch die Rapper Proton und Roni 87. Sie kommen aus unterschiedlichen Ecken im Pott, Proton aus Bottrop, Roni 87 ist Wittener. Ohne den Stammtisch wären sich die beiden, die inzwischen gute Freunde sind, wahrscheinlich nie über den Weg gelaufen. „Wir haben irgendwann gemerkt, dass wir die gleichen Interessen haben“, sagt Proton, der mit seinem langen,  feuerroten Kinnbart, zahlreichen Runenanhängern und immer viel zu weiten Klamotten eher aussieht wie ein verwirrter Rocksänger. Zusammen mit  Roni hat er das Projekt „Friendly Fire“ auf die Beine gestellt. Beide verbinden ihre unterschiedlichen Stile mit der Lust, sich gegenseitig „in Grund und Boden zu rappen“. Sie haben zusammen bereits einige Auftritte gemacht, ein gemeinsames Download-Album ist in der Mache.

 

„Der Stammtisch-Rap hat ganze Städte schon angesteckt, wir rollen vom Ruhrpott auf Panzerketten nach Bangladesh“  Roni 87

Das große Problem der Szene: Im August kam das Unwetter.  „Da ist der Zwischenfall abgebrannt, unser Stamm-Laden“, ärgert sich Meller. Dabei lief alles gerade so gut. Seitdem das Löschwasser die Bochumer Szene-Disco dahingerafft hat, ist die „Stammtisch-Crew“ obdachlos. Der Club sei ideal für das Konzept der Veranstaltung gewesen, so Meller: „Es gab keinen Eintritt und keine nervigen Türsteher, dafür aber viel billiges Bier.“ Jetzt steht die Szene erst einmal auf der Straße. „Die Suche nach einer neuen Location ist nicht ganz einfach, da unser Konzept in die meisten Läden nicht wirklich reinpasst.“ Doch das Kollektiv will sich nicht unterkriegen lassen. Im Internet wird eifrig über eine Lösung des Problems diskutiert. Und es muss schnell gehen. Nach der monatelangen Sommerpause hat sich viel überschüssige Energie angestaut. Die muss raus. „Leider kann ich im Moment noch nichts Offizielles bekannt geben, aber ich bin mir sicher, dass die kommende Session am ersten Mittwoch im Oktober wieder stattfinden wird“, so Meller.

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