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Pamela Anderson schwingt sich mit Vorliebe nackt an der Decke in ihrer Villa von Trapez zu Trapez. Mike Tyson hat im Gefängnis zerqueschte Kakerlaken auf Toastbrot gegessen, während er nebenbei Nietzsches Schriften studierte und über Einstein und Hemingway sinnierte. Mit solch intimen wie wahnwitzigen Bekenntnissen wurde Hollywood-Reporter Tom Kummer in den 1990er Jahren berühmt. Egal ob Charles Bronson, Sharon Stone oder Sean Penn: Er brachte die Stars zum Sprechen wie kein anderer, seine spektakulären Interviews erschienen in den renommiertesten deutschsprachigen Zeitungen. Süddeutsche und FAZ waren ebenso scharf auf den heißen Stoff aus der Traumfabrik wie Spiegel und Stern. Bis zum Jahr 2000, als der Focus hinterherrecherchierte, die Stars mit ihren angeblichen Aussagen konfrontierte und enthüllte: Was bis dato zu den Höhepunkten des Celebrity-Journalismus zählte, war eine große Fälschung. Die angeblichen Interviews und Reportagen waren an Tom Kummers Küchentisch entstanden, eine geschickte Kombination aus alten Veröffentlichungen und gut recherchierter Fiktion. Viele der Stars hatte Kummer nie getroffen.
Eine ganze Branche war blamiert. Jahrelang hatte es niemanden interessiert, wieso ausgerechnet Kummer diese heißen Storys liefern konnte, und wieso bei ihm die Hollywood-Größen so tiefsinnig sprachen wie Intellektuelle und Nobelpreisträger. Die beiden Chefredakteure des Süddeutsche-Magazins, Ulf Poschardt und Christian Kämmerling, mussten wegen des Skandals ihren Hut nehmen.

Empörung und Weigerung

Was Regisseur Miklós Gimes aus dem großen Presse-Prank macht, das ist ein kurzweiliger Film. Temporeich erzählt, mit Split-Screen-Optik berichtet er von seinen Recherchereisen nach Los Angeles. Er montiert Interviews mit Homevideo-Schnipseln aus Kummers Privatarchiv, wobei allerdings nie pompöser Guido-Knopp-Charme aufkommt: Wenn ehemalige WeggefährtInnen Kummers interviewt werden, sitzt dieser daneben und zeigt kein schlechtes Gewissen. So dumm könne doch niemand sein und glauben, dass ich diese Sätze eins zu eins so von einem Star geliefert bekommen habe, behauptet er. Mit den Vorwürfen wolle er sich nicht auseinandersetzen, sondern lieber ein paar gelbe Bälle schlagen. Kummer arbeitet heute als Paddle-Tennis-Trainer in Los Angeles.
Moralische Empörung versus Kummers Weigerung, eine moralische Schuld einzugestehen – dieser Widerspruch soll den Film über weite Teile tragen. Das funktioniert aber nur bedingt. Die Erzählperspektive des Regisseurs bleibt ambivalent. Seine großen Momente hat die filmische Inszenierung, wenn Kummer in seiner Wohnung die Kisten mit den alten Magazinen hervorkramt und aus den wahnwitzigen Interview-Fakes zitiert und sich dabei köstlich amüsiert. Ziemlich unplausibel wird die Gegenüberstellung allerdings in anderen Momenten – zum Beispiel, wenn ein Redakteur der Bild die ganz großen Vorwürfe gegen Kummer hervorholt, als hätte sein eigener Arbeitgeber sich nicht selbst alleine in diesem Jahr schon fünf Rügen des Deutschen Presserates eingefangen.

Gewissensfragen

So spektakulär die Aufdeckung der Fake-Interviews vor elf Jahren auch war, so bemüht wirkt es, wenn versucht wird, die Fälschungen in der Celebrity-Presse als ein ethisch-moralisches Problem von enormer Tragweite zu inszenieren– als ginge es um Leben und Tod, und nicht um Unterhaltungsjournalismus.
Wäre ein schlechtes Gewissen angebracht? Und wenn ja, wem gegenüber? Den LeserInnen, die gerne nicht nur Schönes, sondern auch Wahres über Pamela Anderson lesen würden? Oder den eigenen KollegInnen gegenüber? Beiden gefeuerten Chefredakteuren scheint der Skandal um Tom Kummers Fälschungen jedenfalls nicht nachhaltig geschadet zu haben. Nach einer Zwischenstation bei der deutschen Vanity Fair machte der Axel-Springer-Verlag jedenfalls Ulf Poschardt zum Chefredakteur der Welt am Sonntag. Der zweite im Bunde, Christian Kämmerling, wurde ein hochdotierter Medienberater, der unter anderem das Image von den Red-Bull-Manager Dietrich Mateschitz aufpolieren durfte.

Interviews vom Fließband

Der Journalist und Filmemacher Miklós Gimes will in seinem Film nach eigenem Bekunden der Frage nachgehen, wieso Kummer nicht auf sein schriftstellerisches Talent setzte, sondern auf den großen Fake. An dieser Frage ist er gescheitert. Halb so wild, das meinen jedenfalls die JournalistInnen aus dem Ruhrgebiet, die das Endstation Kino im Bahnhof Langendreer am Mittwoch zu einer Diskussion geladen hatte, um über die Implikationen des Falls Tom Kummer für die Presselandschaft zu beraten. Dabei prallten mindestens zwei unterschiedliche Perspektiven aufeinander. Die Film- und Fernsehjournalisten Kay Pinno, Sascha Westphal und Christian Lukas berichteten von den Voraussetzungen, unter denen Interviews mit Stars zumeist entstehen: Wie am Fließband werden JournalistInnen bei so genannten „Junkets“ abgefertigt: Zur Promotion eines neuen Films werden sie in ein Hotel eingeladen und in Kleingruppen zu den Stars geschleust, die dann für vielleicht eine Viertelstunde die Fragen der versammelten KollegInnen beantworten; eine Art professionelles wie oberflächliches Speed Dating im Rahmen einer Pressekampagne. Dass Kummer diese Arbeitsbedingungen für unerträglich hielt, sei verständlich – er sei dann eben „zu weit gegangen“. bsz-Redakteurin Chantal Stauder, die außerdem für die WAZ und den coolibri schreibt, betonte dagegen: Dass Kummer mit seinen Fälschungen immerhin vier Jahre lang großen Erfolg haben konnte, mache auch weitergehende Regeln des journalistischen Alltags sichtbar, die sonst eher im Dunkeln bleiben. Die impliziten Zwänge, die den Marktwert einer Story ausmachten, orientierten sich längst nicht nur an den Kategorien richtig und falsch. Dass dadurch Anreize entstehen, die Wirklichkeit zu schönen, ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die andere sei, dass selbst guter und ethisch einwandfreier Journalismus niemals unvoreingenommene und vollständige Berichterstattung sein könne. Zum journalistischen Auftrag gehöre es, Informationen auszuwählen, zu sortieren, und zu interpretieren – das Ergebnis sei damit niemals ein neutrales und vollständiges Abbild einer äußeren Realität, sondern Konstruktion. In die gleiche Kerbe schlug auch Tom Thelen, freier WAZ-Kulturredakteur aus Bochum. Diese Verhältnisse offenzulegen, das sei allerdings nicht nur die Verantwortung der JournalistInnen selbst, sondern auch eine zentrale Aufgabe von gesamtgesellschaftlicher Mediensozialisation.

Bad Boy Kummer
Schweiz/Deutschland, 2010. R: Miklós Gimes. K: Filip Zumbrunn. DVD. 92 Min.

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