Moshing Molly trägt roten Lippenstift zu ihren unterm schwarzen Helm flatternden roten Zöpfen, schwarz-weiße Ringelsöckchen über ihrer Netzstrumpfhose. Seit zwei Jahren spielt die 21-Jährige Roller Derby, nachdem sie in ihrer Jugend schon immer gern Rollschuh gefahren war. Sie legt wert darauf, dass das Spiel allen zugänglich ist, unabhängig von Alter, Körper, Gewicht und Kleidungsstil. Es geht ihr um den Sport: „Wir machen keine Sex-Veranstaltung!“ Das Roller Derby hat mit zunehmender Popularität damit zu kämpfen, dass die Zuschauer_innen bei Frauen im Sport ihre eigenen Vorstellungen befriedigt wissen wollen. Was für die Spielerinnen Ausdruck von Differenz, Identität und positivem Körperverhältnis ist, zog mit der Zeit auch ZuschauerInnen an, die Roller Derby offenbar für ein erotisches Show-Event halten.
Ein paar Meter weiter stehen zwei Männer mit Jeansjacken der Turbojugend. Feixend beäugen sie eine Spielerin aus Amsterdam und machen sich über ihren Körper lustig: „Die kann ja genau so gut blocken wie wir zwei zusammen!“ Die Sehgewohnheiten des Alltags können die Rollergirls nicht vor die Türe der Eishalle aussperren. Der aktuelle Aufwind des Roller Derby entstand Ende der Neunziger Jahre mit starken Verbindungen zu alternativen Szenen und dem Dritte Welle-Feminismus in den USA, 2006 gab es das erste deutsche Team. Auf dem Feld rollen große, kräftige Frauen genauso wie sehr kleine, und so mancher Überholversuch kriegt die Rundungen eines breiten Glitzergold-Hinterns in die Seite gerammt. Ob einige Spielerinnen wollen oder nicht: Das Leben eines Rollergirls ist nicht ohne einen gewissen Grad an Emanzipation aus weiblichen Rollen- und Körperverhältnissen zu haben.
Sandra, Kampfname Nanny Blogg, spielt selbst bei Barockcity Rollerderby Ludwigsburg. Die großgewachsene Frau, langes blondes Haar, mit Glitzersteinchen besetztes Sportdress, steht auf Rollschuhen in der Mitte des Feldes und moderiert mit ihrer Kollegin aus Amsterdam durch den Abend. Sie meint, ein feministisches Selbstverständnis sei hier in Deutschland nicht mehr so wichtig. Es gebe zwar einige Feministinnen, aber für sie selbst stehe der sportliche Aspekt im Vordergrund: „Da ich schon immer gerne Inliner fahre, Schlittschuh laufe und mich gerne austobe beim Sport, keine Angst vor blauen Flecken habe, mach ich das halt. Ich finds gut, dass es alles miteinander verbindet. Kraft, Ausdauer, Taktik – und: Spaß.“ Trotzdem: „Weil‘s ne Frauensportart ist, gibt’s auch oft Charity für Frauen.“ So auch an diesem Abend. Zwischen dem Merchandise der beiden Teams steht ein Stand von Terre des Femmes. Flugblätter informieren über weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung und Mord im Namen der Ehre oder häusliche Gewalt gegen Frauen. Ein Teil der Einnahmen des Abends fließt an die Frauenrechtlerinnen aus Dortmund, um einen Selbstverteidigungskurs für junge Mädchen zu finanzieren.
Get ready to rumble
Gespielt werden zwei mal 30 Minuten, aufgeteilt in maximal zweiminütige „Jams“. Jeweils vier Blockerinnen des „Packs“ starten zuerst, dann dahinter je eine „Jammerin“ der Teams. Diese kämpfen sich mit Hilfe ihrer Mitspielerinnen durch das blockierende gegnerische Pack. Die erste, die das schafft, sprintet als „Lead Jammerin“ den Rundkurs entlang und muss dann, wie auch ihre Konkurrentin, so viele gegnerische Spielerinnen wie möglich umrunden – für jede gibt es einen Punkt. Als Lead Jammerin hat sie den taktischen Vorteil, den Jam jederzeit durch eine Klopfbewegung auf die Oberschenkel abbrechen zu können. Überholen außerhalb der Markierung ist verboten, Festhalten oder besonders grobe Rempeleien in den Rücken werden als Fouls mit Strafzeit geahndet. Der Check der Schoner an Ellenbogen, Knien und Kopf durch die Schiedsrichter_innen ist verpflichtendes Ritual vor jedem Spiel. Jammerinnen fliegen auch schonmal im hohen Bogen aus dem Kurs. Nicht selten enden Blockversuche in spektakulären Stürzen.
An diesem Abend gewinnen die Devil Dolls aus Essen mit 161 zu 83 Punkten. Das Spiel, das von vorn bis hinten als große Show angelegt ist, endet in einer großen Feier. Zwischen ihren Mitspielerinnen, Kampfnamen wie „Call of Booty“, „Vegan Vengeance“ oder „Bloody Bondage“ auf dem Sportdress, wuselt Emma umher. Sie erinnert die Rollergirls an Aufgaben und Abläufe – der Sport findet zu großen Teilen im Geist des Do-It-Yourself statt. Zwar arbeiten auch Männer etwa als Schiedsrichter mit, zu größten Teilen organisieren die Frauen aber Training, Match und Vereinsbürokratie selbst. Die Fankultur ist noch überschaubar, etwa 200 Menschen hat der Bout in die Eishalle gelockt. Auf den Fanrängen und abseits des Kurses steht eine bunte Mischung, Querschnitt durch die Subkulturen, leicht mehr Frauen als Männer. Ein Rookie der Devil Dolls verteilt am Hintereingang Bändchen für die Aftershow-Party und VIP-Pässe: „Jede hat ihre Aufgaben. Aber wir können auch unsere Familie und Freunde fragen, ob die helfen.“ Tun sie: So mancher Freund der Spielerinnen steht in der Menge. Kampfname auf dem T-Shirt: Spielerfrau.
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