Der „Wohntunnel“ an der Herrmannshöhe war ihr erstes Projekt, das gleich ambivalente Folgen hatte: Nicola Henning, Gregor Betz und Giampiero Piria sind nur drei der insgesamt elf selbsternannten „Stadtverwalter“, die sich im Herbst 2010 im Anschluss an das t.a.i.b.-Projekt (temporäre architektonische Intervention auf einer Brachfläche), das zwischen Riff und Bermudadreieck gastierte, gegründet haben und gerade damit beginnen, Flächen in Bochum zu finden, die sie zwischennutzen können.
Die Mitglieder haben sich für das Vereinsmodell entschieden, damit im Zweifelsfall nicht einzelne Personen haften müssen. Dabei haben sie sich Zwischennutzung auf die Fahnen geschrieben, um die t.a.i.b.-Idee weiterführen zu können. Besonders der Aspekt der Gemeinschaftlichkeit, die bei solchen Projekten aufkomme, stehe für sie im Vordergrund. Das „Stadtverwalter“-Projekt soll als Plattform mit niedriger Hemmschwelle dienen. Als Einzelne wollen sie „Verantwortung für ein Ganzes“ übernehmen.
„House of Paint“ geschlossen
Erst im Nachhinein fällt den „Stadtverwaltern“ auf, dass sie dabei die Sprayer vergessen haben, die den Tunnel bereits seit Mai 2001 als eine von der Stadt ausgewiesene Freifläche nutzen. Diese Freiräume mussten sich die Sprayer zunächst unter großen Mühen erstreiten, gerade auch, weil die Bevölkerung der Spray-Kultur nicht den gleichen gesellschaftlichen Rückhalt gewährt, wie andern KünstlerInnen. „Wir sind ein Verein für Zwischennutzungskultur. Eines unserer ersten Treffen fand in diesem Tunnel statt. Wir fanden ihn aufgrund der Architektur spannend. Die Graffiti standen nicht im Vordergrund. Das wird mit jetzt auch erst im Nachhinein klar“, erklärt Gregor Betz. Mit ein paar Wochen Abstand zum Projekt fällt ihm auf: „Wir haben mit dem Projekt ein Angebot für die freie Szene geöffnet, aber nicht unbedingt für die Graffiti-Szene.“
Im Zuge ihrer Zwischennutzung strichen „Die Stadtverwalter“ die Flächen im Tunnel an der Herrmannshöhe ein Mal komplett weiß. Damit verschwanden auch die aufwendigen Graffiti-Kunstwerke.
Der Tunnel lebte auch von der Sprayer-Kultur, die schon seit 2001 dorthin kam, um sich künstlerisch auszudrücken. „Mich hat gewundert, dass kein Sprayer auf uns zugegangen ist und dass es keinen Austausch mit ihnen gab. Im „House of Paint“ lagen die Flyer mit einem Aufruf an die Kreativen doch aus“, so Nicola Henning. „Unser Ziel war, den Tunnel aufzuwerten. Danach ist er mir positiv aufgefallen. Früher war er dunkler, grauer, doofer“, sagt die Geografin. Das „House of Paint“ ist ein Graffitistore an der Universitätsstraße, der seit vergangener Woche geschlossen ist. Es war in der Stadt das einzige Fachgeschäft für die KünstlerInnen mit den Sprühdosen. Außerdem mussten sie sich hier auch die Spray-Genehmigungen für den Tunnel an der Hermannshöhe holen.
Die Medienberichterstattung deckt sich mit den Reaktionen der AnwohnerInnen: „Endlich macht ihr den Tunnel sauber“ bekamen die Stadtverwalter zu hören. „Dass Leute während der Wohntunnelwelt zu uns sagten ‚In einer Woche ist der Tunnel sowieso wieder beschmiert‘, fand ich erschütternd, so Betz und fügt hinzu: „In der Auseinandersetzung mit Passanten wurde schon klar, dass der Tunnel negativ belegt ist. Aber wir hätten uns total gefreut, wenn sich Sprayer auch beteiligt hätten.“ Der Wunsch nach hellen, weißen Wänden muss in den Ohren der SprayerInnen, die regelmäßig im Tunnel gearbeitet haben, wie Hohn geklungen haben. Dementsprechend fällt auch ihre Rückmeldung auf das Wohntunnelprojekt aus: „OK bis uninteressant.“ Bis heute wurde kein einziges Graffito mehr aufgesprüht. Die Sprayer nutzen die weißen Wände nicht mehr für ihre künstlerischen Arbeiten.
Regeln für den Umgang mit Freiflächen
Jürgen Kotbusch vom Jugendamt der Stadt Bochum ist für die Freiflächen verantwortlich und gibt auch Hinweise zum Umgang mit den Freiflächen. Zumindest für die Sprayer gibt es eine wichtige Grundregel, die für sie selbstverständlich, den „Stadtverwaltern“ aber nicht bekannt war: „Respektiert die Pieces anderer Sprüher und macht keine tags über irgendwelche Wände. Wenn ihr gerade erst anfangt oder einfach mal was ausprobieren wollt, sucht euch kleine Seitenwände oder Flächen, auf denen keinen aufwendigen Pieces sind. Faustregel: Bemüht euch, mindestens so gut zu sein wie die Writer, die ihr gerade übermalt.“
0 comments