Zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts war eine Generation herangewachsen, die „alle Götter tot, alle Kriege gekämpft, jeden Glauben in die Menschheit zerstört“ vorfand. So beschrieb Fitzgerald die „Lost Generation“, ein Begriff, den Getrude Stein gegenüber den verlotterten Veteranen des Ersten Weltkrieges geprägt hatte. „Zuwenig Respekt und zu viel Alkohol“ – das war die Formel, die den jungen Hemingway früh inspirierte. Als Siebzehnjähriger heuert er als Lokalreporter beim „Kansas City Star“ an. 1918, nur ein Jahr später, rennt er kurz vor der deutschen Kapitulation in den Ersten Weltkrieg und wird von einer Granate schwer verwundet. „In einem anderen Land“ wird der Roman heißen, in dem er seine Kriegerlebnisse samt unglücklicher Liebe zu einer Krankenschwester beschreiben wird. Schon früh sieht das Publikum einen Getriebenen, der zurück in den USA als Reporter beim „Toronto Star“ anfängt und den es bereits 1921 als Auslandskorrespondent nach Paris zieht. Er hängt ein Weilchen mit den Intellektuellen ab, lernt von Gertrude Stein die Kunst der Aussparung und säuft sich durch die Nächte; dann zieht es ihn weiter. Er nimmt an den Stierläufen in Pamplona teil, beginnt ein Manuskript in Valencia, schreibt weiter in Madrid und San Sebastian und schließt, zurück in Paris, den ersten Entwurf ab. „Robert Cohn war in Princeton Mittelgewichtsmeister im Boxen gewesen. Glauben Sie nicht etwa, dass mir so ein Boxtitel imponiert, aber für Cohn bedeutete er viel.“ Mit diesen lapidaren Sätzen beginnt „Fiesta“, der Roman, der Hemingway 1926 zum Durchbruch verhelfen sollte. Das Sujet: maskulin – Stierkampf und Alkohol verpackt in kurzen, knackigen und vor allem „wahren“ Sätzen. Hemingway war auf seinem Spielfeld angekommen.
Großwildsafari und Stierkampfarena
Sein abenteuerliches Herz beruhigte sich zeitlebens allerdings nicht. Immer wieder zieht es ihn als Kriegsreporter in die Gefahrenzonen. Er bleibt ein leidenschaftlicher Hochseefischer und Großwildjäger, der zur Safari nach Kenia reist und von dort zur spanischen Stierkampfarena jettet. Kann so ein Mann überhaupt ein „Schöngeist“ sein? Ist er fasziniert von der Gewalt? Sprechen seine vier gescheiterten Ehen nicht für eine Liebesunfähigkeit, die seiner Egomanie und Großmannssucht geschuldet ist? Fragen, die nicht leicht zu beantworten sind. Gesichert ist, dass Hemingway zeitlebens an einer bipolaren Störung litt, gegen die er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften ankämpfte. So rang er auch immer ein Stück weit gegen sich selbst. Als er starb, muss sein Körper mit Narben übersät gewesen sein und die meisten seiner Knochen mindestens einmal gebrochen. Hemingway konnte ein ordinärer Prahlhans sein, hinter dessen allzu maskuliner Fassade vielleicht das Geheimnis seiner nichteingestandenen Homosexualität schlummerte, wie mitunter von Seiten der Gender-Studies spekuliert wird. Aber Hemingway blieb da nicht stehen. Er entwickelte sich weiter.
Die erste wichtige Erfahrung, die den erfolgsverwöhnten Autoren von seiner aufbrausenden Egomanie Abstand gewinnen ließ, war sein Einsatz als Kriegsreporter im spanischen Bürgerkrieg auf Seiten der Republikaner. Plötzlich ging es nicht mehr allein um ihn, sondern um eine gemeinsame Idee: der Kampf gegen den Faschismus. Sein poetologisches Konzept der „wahren Sätze“ erhielt so in seinem Roman „Wem die Stunde schlägt“ eine ganz neue Qualität. Der Protagonist Robert Jordan liegt alleine und verwundet im Hinterhalt und rüstet sich für ein letztes Gefecht, um seinen GenossInnen den Rückzug zu sichern. „Er fühlte das Pochen seines Herzens an dem Nadelboden des Waldes“, lautet der letzte Satz des Epos.
Natürlich fällt Hemingway auch in seinem Antifaschismus wieder in alte Muster zurück. Bei der Befreiung von Paris am 25. August 1944 stürmt er ganz alleine das Ritz. Später brüstet er sich damit, in beiden Weltkriegen 122 Deutsche getötet zu haben. Er bleibt ein Bezwinger, doch ist er um eine existentialistische Note reicher geworden. Seltsamerweise will ihm seitdem das Schreiben nicht mehr so recht gelingen. Er lebt jetzt auf Kuba und verfasst zum größten Teil Makulatur. Die Karriere scheint vorbei zu sein. Das Ringen um die wahren Sätze erweist sich als aussichtsloser Kampf. Frustriert sitzt er an seinem Schreibtisch und beginnt eine Novelle über einen Fischer und seinen aussichtlosen Kampf um einen Marlin, den ihm die Haie entreißen. „Der alte Mann und das Meer“ sollte Hemingways größter Erfolg werden und ihm schließlich 1954 den Nobelpreis einbringen. In keinem anderen seiner Werke hat sich das Ringen des Menschen mit der Natur so eindrucksvoll eingeschrieben. Dieser große epische Kampf, den schließlich beide verlieren. Der Fischer Santiago und Hemingway selbst. Am 2. Juli 1961 ist der Leidensdruck seiner Depression so groß geworden, dass Hemingway den Kampf aufgibt. Mit letzter Kraft schleppt sich der Großwildjäger zum Waffenschrank und erjagt sein bisher größtes Wild. Sich selbst.
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