„Öffentlichkeit selber machen“ – unter diesem Motto hatten die Redaktionen der bsz, des Regionalblogs Ruhrbarone und des Internetportals bo-alternativ.de in die Rotunde geladen. Das Ziel: Ganz verschiedene Erfahrungen von selbstgemachter Medienarbeit zusammenzubringen. Zumindest dieser Anspruch erfüllte sich schon bei den Workshops am Nachmittag: In ungewöhnlichen Konstellationen diskutierten zum Beispiel Greenpeace-CampaignerInnen mit engagierten BloggerInnen und Antifa-AktivistInnen darüber, wie es möglich ist, Aufmerksamkeit für Themen zu generieren.
Großer Redebedarf zeigte sich auch in der Gesprächsrunde über den verhinderten Strukturwandel und die Macht- und Filzstrukturen im Ruhrgebiet: Der von Ruhrbarone-Journalist Stefan Laurin geleitete Workshop überzog die geplanten 90 Minuten deutlich. Parallel dazu sorgten bereits der Autor Hannes Oberlindober mit seiner parataktischen Abrechnung mit dem Neoliberalismus und der Singer-Songwriter-Journalist Max Kühlem für Festival-Feeling.
Als der Künstler und Autor Matthias Schamp mit einem plärrenden Ghetto-Blaster („Das schlimmste ist, wenn das Bier alle ist“, Die Kassierer) die Bühne betrat, änderte sich die Stimmung schlagartig. Wer allerdings aufgrund dieses Einstiegs eine opulente Trashpunk-Inszenierung erwartete, wurde überrascht. Vielmehr geriet der Auftritt zu einer politisch-emotionalen Liebeserklärung an die Ruhrgebietsbrachen – also an jene Zahnlücken in der Architektur, in denen nicht nur die Blauflüglige Ödlandschrecke eine ökologische Nische gefunden hat, sondern die auch als öffentlich zugängliche Räume zu verteidigen sind.
Richtig voll wurde es gegen Abend. In einem Gespräch zum Thema „Bloggen gegen Überwachung“ berichtete die Berliner Medienaktivistin Anne Roth davon, wie sie und ihre Familie zum Zentrum einer völlig aus dem Ruder gelaufenen Anti-Terror-Ermittlung wurden. Im Sommer 2007 hatte ein Sondereinsatzkommando der Polizei ihre Wohnung gestürmt und ihren Lebenspartner, den Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm, verhaftet. Vorwurf: Mitgliedschaft in einer linksextremen terroristischen Vereinigung. In dieser Situation, wo das Private schlagartig politisch wurde, entschied sie sich, ihren sowieso lückenlos überwachten Alltag als Terrorverdächtige in einem Blog öffentlich zu machen. „Hat die Überwachung nicht auch ihre komischen Seiten?“, fragt ein Besucher. „In erster Linie ist das erschreckend und macht Angst“, antwortet Anne Roth, um dann doch auf einige Absurditäten des eingeschränkten Lebens einzugehen und zu betonen, wie sehr die öffentlich organisierte Solidarität geholfen hat, die Zeit bis zur Einstellung des Verfahrens durchzustehen – immerhin ganze drei Jahre nach der ursprünglichen Festnahme von Andrej Holm.
Szenenwechsel. „Das ist Bukowski-Land, mein Freund heißt Bohnekamp, mir bleibt der Bordsteinrand, bei uns hier im Revier regiert Hartz IV,“ singt der Dortmunder Nordstadt-Musiker Boris Gott wenig später auf der gleichen Bühne. Zwischendurch hatten sich hier noch VertreterInnen der drei einladenden Redaktionen mit dem Redakteur der Straßenzeitung bodo Bastian Pütter und der Labournet-Journalistin Mag Wompel über Konzepte von Gegenöffentlichkeit ausgetauscht. Nun inszeniert Boris Gott, der „kleine Mann mit der weißen Weste und dem schwarzen Herz“ seinen persönlichen Dortmunder Nordstadt-Underdog-Mythos. Derweil setzen weit über hundert Festival-BesucherInnen in gemütlichem Rahmen vor der Rotunde die Diskussionen des Tages fort. Drinnen werden die elektronischen Experimental-Rocker von Selectamood ihrem Ruf als innovativste Nachwuchsband des Ruhrgebiets gerecht.
Ein Fazit? „Gerade für uns als noch junge Gruppe war das Medienfestival eine tolle Gelegenheit, uns nach außen hin darzustellen und uns mit anderen Organisationen zu vernetzen“, sagt Lara Kirfel von Greenpeace Bochum. Ein Statement, das so ähnlich auch von anderen der über beteiligten 20 Initiativen zu hören war. Die durch das Festival angestoßenen Diskussionen sind bisher nicht verstummt. Auf dem Ruhrbarone-Blog zum Beispiel entspinnen sich schon erste Debatten unter den Medienfestival-TeilnehmerInnen, die sich zuvor weit weniger zu sagen hatten.
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