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Neben Queer-Initiativen, Disco-BetreiberInnen und Spaßvereinen zog es vor allem auch die politischen Parteien in die Domstadt. Neben den Grünen, der SPD und der Linken präsentierten sich auch einige Spaß- und Splitterparteien wie etwa Die PARTEI, die Piratenpartei und die FDP. Für einige wenige ungläubige Blicke sorgte in diesem Zusammenhang allenfalls der Wagen der CDU, welcher inmitten knallpinker Transvestiten ein wenig deplaziert wirkte. Ansonsten wurde getanzt, gesungen, geflirtet, und auch die Sektkorken knallten in loser Regelmäßigkeit. Die Szene feiert sich selbst, und Köln feiert mit. Die Queer-Community scheint in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Angesichts dieser Straßenparty für die ganze Familie konnte man leicht vergessen, dass der CSD 1969 eigentlich als Demonstration gegen willkürliche und gewalttätige Polizei-Razzien in einem queeren Szenelokal in der New Yorker Christopher Street entstanden ist. Die daraus entstandene Bewegung hatte auch den Anspruch, in soziale Kämpfe einzugreifen. Außerdem suchte sie den Kontakt zur sozialrevolutionären Black-Panther-Bewegung.

Widerstand gegen Kommerzialisierung

Was also ist passiert? Sind alle Missstände, gegen die es sich aufzulehnen lohnt, beseitigt? Ist es ein politischer Erfolg, dass die Bewegung vom Underground im Mainstream angekommen ist – oder wurde sie auf diesem Weg gar totgekuschelt? Oder zerplatzt hier nur die meist vom linken Spektrum verbreitete Illusion, homosexuelle und queere Menschen wären automatisch auch irgendwie links? Als Antwort auf die voranschreitende Kommerzialisierung des Events entstand bereits Ende der neunziger Jahre in Berlin der „Transgeniale CSD“. Dieser spaltete sich, zunächst als Spontandemonstration, von der großen Schwester ab und ist seit 1998 die inoffizielle Gegenveranstaltung zum „schwulen Karneval“. Die Veranstaltung versteht sich als explizit politisch und kehrt diesbezüglich an ihre Wurzeln zurück: Queere Ansätze sollen nicht isoliert, sondern im Kontext gesamtgesellschaftlicher Ausgrenzungsprozesse thematisiert werden. Kritisiert werden rassistische Zustände, Kriege, soziale Benachteiligung, aber auch Themen wie Stadtumbau und Gentrifizierung.

Nix gibt‘s ohne Widersprüche

Doch auch diese Veranstaltung ist nicht ohne zum Teil erbitterte Kontroversen zu haben, die häufig entlang bekannter Frontlinien verlaufen. Im Jahr 2003 folgte eine Gruppe mit dem Namen „queer.for.israel“ der Forderung nach einem breiteren thematischen Kontext. Die Gruppe wollte nach eigenen Angaben auf Homosexuellenverfolgungen im Nahen und Mittleren Osten hinweisen. Israel sei in der Region das einzige Land, welches queeren Menschen Schutz vor Gewalt sowie demokratische Freiheitsrechte garantieren könne. Die Gruppe entrollte drei Israelfahnen – laut Anwesenden forderte der Moderator sie daraufhin auf, ihre „Scheißfahnen“ herunterzunehmen. TeilnehmerInnen des Transgenialen CSD sollen daraufhin versucht haben, ein Exemplar in Brand zu setzen. Auf der anderen Seite konnte auf der diesjährigen Demonstration eine junge Frau, ungestört durch die VeranstalterInnen, von einer Bühne herab einen Redebeitrag „palästinensischer Queers“ verlesen, der gespickt mit antiimperialistischen Kampfbegriffen war: Israel sei ein verbrecherischer Staat, welcher „Terror“ gegen die palästinensische Bevölkerung ausübe. PalästinenserInnen, die in Israel leben, seien „täglich mit systematischer, legalisierter Apartheid-Politik konfrontiert […], die sie in allen Sphären ihres Lebens diskriminiert“. Dies scheint aus Sicht der VerfasserInnen für Homosexuelle unter einer Hamas- oder Hisbollah-Regierung nicht der Fall zu sein – jedenfalls wirkte es in den Augen einiger BesucherInnen mehr als zynisch, dass sie die katastrophale (Un)rechtssituation in Gaza nicht kritisierte, wo Homosexualität als Verbrechen gilt und mit schwersten Strafen bis hin zur Todesstrafe geahndet werden kann.

Diese Episode ist zugleich Sinnbild für das Dilemma der CSD-Bewegung. Scheint der „große“ CSD von der Mainstream-Gesellschaft fast vollständig absorbiert, droht die „transgeniale“ Variante zuweilen StellvertreterInnen-Konflikte anzuziehen, die queere Politik­ansätze nicht in einen breiteren Kontext einbinden, sondern die ihnen zuweilen sogar entgegenlaufen. Es empfiehlt sich also, sich weder vom Partyvolk vereinnahmen zu lassen, noch sich in diffuse Kleinkriege über Themen zu stürzen, welche nur scheinbar an die frühen Kämpfe in der Christopher Street anknüpfen. Die Emanzipation ist gelungen? Es bleibt noch viel zu tun – gesamtgesellschaftlich.

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