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Vor 25 Jahren spitzte sich der Konflikt zu: Die Stadt wollte ernst machen mit den Plänen, das gesamte Viertel abzureißen, um den Westteil des Schnellstraßen-Rings zu bauen. Der Sommer 1986 war das letzte Kapitel einer sozialen Bewegung, die Stadtgeschichte schrieb und viele politische Lebensläufe formte.
„Wir waren tatsächlich Teil einer gesellschaftlichen Utopie“ erinnert sich Jochen* an seine Zeit im besetzten Viertel. „Diese Erfahrung prägt fürs ganze Leben.“ Jochen kam 1985 als Besetzer ins Viertel, auf dem Höhepunkt des gelebten Widerstands gegen den Abriss der Häuser rund um die Heusnerstraße.
Andere waren ursprünglich überhaupt nicht als BesetzerInnen in den Stadtteil gezogen: Die expandierende Ruhr-Uni hatte in den 1970er Jahren für einen eklatanten Mangel an studentischem Wohnraum gesorgt. Daher stellte die Stadt dem Akafö leerstehende Häuser im Heusnerviertel zur Verfügung, die das Studentenwerk günstig weitervermietete. Die Tage des Quartiers nahe der Kohlenstraße waren allerdings gezählt – zumindest in den Augen der Stadtplaner. In einem millionenschweren Straßenbauprojekt sollte der Sheffield-Ring mit der A40 verbunden werden – das Heusnerviertel war im Weg. Als die Mietverträge nicht verlängert wurden, blieben viele BewohnerInnen trotzdem. Für leere Wohnungen suchten die AnwohnerInnen mittels Mundpropaganda schnell neue NutzerInnen. Dann kamen die Punks. Die Besetzung des Viertels nahm ihren Lauf.

Von der Fabrik ins Heusnerviertel

Diese Entwicklung kam nicht aus dem Nichts: Bereits im Jahr 1981 hatte die Besetzung eines Bochumer Fabrikgeländes für Aufregung gesorgt. Die AktivistInnen forderten ein autonomes Kulturzentrum – und scheiterten. Die Fabrik wurde abgerissen. „Viele ehemalige FabrikbesetzerInnen trafen sich im Heusnerviertel wieder“, erzählt Jochen. Nicht zuletzt geht auch die Gründung des Bahnhofs Langendreer auf diese Bewegung zurück. Das neue soziokulturelle Zentrum sollte dazu beitragen, die Szene zu befrieden.

Solidarität ist eine Waffe

Die neuen und alten BewohnerInnen des Heusnerviertels bildeten zusammen eine äußerst heterogene Gruppe, geeint vom gemeinsamen Ziel, das Quartier zu erhalten. Die BesetzerInnen organisierten ein Café mit Volksküche sowie ein eigenes Kulturprogramm. Und eine Selbstverwaltung, deren oberstes Organ eine regelmäßige Vollversammlung war. Nachts passten Wachen auf, um mit Tröten zu warnen, sollte die Polizei versuchen, die BewohnerInnen zu überrumpeln.
Gegenseitige Hilfe war ein zentraler Bestandteil des Lebens im Viertel. „Wenn dein Fahrrad mal kaputt war, dann gab es jemanden, der es reparieren konnte, für ein Päckchen Tabak zum Beispiel“, erinnert sich Jochen. „Und so lief das eigentlich in allen Bereichen.“ Jochen verbrachte seine Zivildienstzeit im Viertel. Nicht ohne Turbulenzen: „Einmal hab ich einen Tag gefehlt. Am nächsten Morgen war ein Bild von mir in der Zeitung, wie ich bei einer Demo von einem Polizisten abgeführt werde. Blödes Timing, blieb aber zum Glück ohne Folgen, das Ganze“, erzählt er.
Das Heusnerviertel stand im regelmäßigen Austausch mit der Hafenstraßen-Szene in Hamburg und mit Berliner BesetzerInnen. Diese Solidarität war durchaus nicht nur symbolisch: Als im Februar 1986 Räumungspläne der Bochumer Polizei durchsickerten, wurde das nicht zuletzt mit Unterstützung aus den anderen Städten verhindert. Es sollte der letzte große Erfolg im Kampf um das selbstbestimmte Wohnen sein.

Endzeitstimmung

Im März 1986 kam es zu gewaltsamen Übergriffen auf die BewohnerInnen, bei denen sich Polizisten als Bauarbeiter verkleidet hatten. Anfang Mai ließ die Stadt überraschend ein Haus in der Bahnstraße abreißen – unter dem Vorwand, die hygienischen Bedingungen seien untragbar. „Dabei hatten die Polizisten vorher selber die sanitären Anlagen zerschlagen“, erinnert sich eine Bewohnerin. Seitdem herrschte im Viertel zunehmend „Endzeitstimmung“, wie Jochen es heute beschreibt. „Unter dem Druck der Polizei kamen Konflikte in der Gruppe immer mehr zum Vorschein, es bröckelte überall. Wir fühlten uns wie in einem militärischen Sperrgebiet.“ Bis zur endgültigen Räumung und dem Abriss der meisten Häuser im November 1986 wurde das Leben im Viertel zum „Tanz auf dem Vulkan“. So heißt auch ein Film über die Besetzung, den die BewohnerInnen gedreht haben. Der Film ist eines der wenigen ausführlichen Dokumente über ein Kapitel der Stadtgeschichte, das häufig in Vergessenheit gerät. Mit der hiesigen BesetzerInnenszene beschäftigt sich zudem ein Rundgang der Bochumer „Geschichtswerkstatt“, der am 28. Mai um 15 Uhr am Sozialen Zentrum in der Josephstraße 2 beginnt.   

* Name von der Redaktion geändert.

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