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„Das Schlimmste ist, dass niemand unser Leid sieht“, sagt Sori Hor*. Er kommt aus Daraa im Südwesten Syriens, der Keimzelle der syrischen Freiheitsbewegung. Seit einigen Jahren studiert er an der Ruhr-Uni , um Ingeneur zu werden. Auf sein Studium kann er sich derzeit kaum konzentrieren. „Seit über einer Woche habe ich keinen Kontakt mehr zu meiner Familie in Daraa.“ Nachdem dort über 100.000 Menschen gegen das Regime auf die Straße gegangen waren, hat das syrische Regime die Stadt völlig abgeriegelt. Die Wasser- und Nahrungsversorgung ist gekappt, alle Kommunikationsmöglichkeiten sind unterbunden und der Strom wurde in weiten Teilen abgestellt. Insgesamt sind im Großraum Daraa eine Millionen Menschen von der Blockade betroffen. Die einzigen Informationen, die nach draußen gelangen, werden über Satellitentelefone vermittelt. Sori befürchtet, dass bereits die ersten Menschen in Daraa verdursten und verhungern.
Auch sonst ist die Informationslage schlecht: Ausländische Journalist_innen haben keinen Zugang nach Syrien. Mehr noch: Das Regime hat die Grenzen in beide Richtungen abgeriegelt. Flüchtlinge, die zum Beispiel nach Jordanien gelangen wollten, wurden einfach erschossen.

Misstrauen gegenüber Mitstudierenden

Die Proteste in Tunesien und Ägypten sind maßgeblich von starken Exil-Bewegungen unterstützt worden. In Bezug auf Syrien ist das schwieriger. Durch die syrische Auslandscommunity geht ein Riss. Denn obwohl im Südwesten Hunderttausende protestieren, ist die Macht des Diktators noch längst nicht gebrochen. Das Klima der Angst bleibt dabei nicht auf das arabische Land selbst beschränkt: Viele syrische Studierende in Deutschland bekommen ihr Auslandsstudium von der Regierung finanziert, berichtet Sori. „Einige von ihnen arbeiten für Assads Regime. Man muss immer darauf achten, was man wem sagt. Falls ich irgendwann nach Syrien reisen sollte, weiß ich nicht, ob ich in einem Foltergefängnis enden werde. Alle Syrer, die ich kenne, reden sehr leise und ängstlich. Und sobald die syrische Innenpolitik auch nur erwähnt wird, gehen einige einfach weg.“

Jubeldemos für den Diktator

Derweil organisiert Assad Jubeldemos für sein Regime. In Syrien werden Beamte mit der Drohung zur Teilnahme gezwungen, dass sie sonst ihren Job verlieren. Auch Schülerinnen und Schülern drohen ernsthafte Probleme, sollten sie sich weigern. Selbst in Berlin fand eine Pro-Assad-Demo statt. Für hiesige Studierende, die ein Stipendium aus Syrien erhalten, sei die Teilnahme verpflichtend gewesen, berichtet Sori. Die massiven Proteste sind trotzdem kaum zu verschweigen. Daher wird die Widerstandbewegung vom staatlichen syrischen Fernsehsender stattdessen in die Nähe von islamistischen Terrorakten gerückt. „Dabei ist Assad selbst doch der größte Verbündete von Irans Präsident Ahmadinedschad, der Hamas und der Hisbollah“, empört sich Sori über diese Verdrehung.

Die syrische Diktatur

Assads Baath-Partei regiert Syrien seit einem knappen halben Jahrhundert. Demokratische Oppositionsparteien, die bei diesem Spiel nicht mitmachen, sind verboten. Seit der Machtübernahme im Jahr 1963 gilt im gesamten Land ein Ausnahmezustand, der politische Grundrechte praktisch völlig aushebelt. Die Regierung begründet diese Sondervollmachten damit, dass Syrien im Krieg mit Israel stehe. Bereits vor elf Jahren hatten viele Menschen in Syrien große Hoffnungen auf einen Wandel. Als der Diktator Hafiz al-Assad nach 37 Jahre Herrschaft starb, galt sein Sohn und Amtsnachfolger als möglicher Reformer. Schließlich hatte Assad junor in London Augenmedizin studiert. Falsch gedacht: Mittlerweile steht er seinem Vater in nichts mehr nach.
Syriens Armee ist mit etwa 450.000 Mann die zweitgrößte im arabischen Raum und sogar die zehntgrößte weltweit. Außerdem hält das Regime hunderttausende Polizisten in Lohn und Brot, unter ihnen die Häscher und Spitzel der gefürchteten Geheimpolizei. Trotz der Massenproteste funktioniert das Machtsystem der Diktatur nach wie vor. Anders als etwa in Lybien besteht für die Gegner_innen des Regimes auch kaum eine Möglichkeit, selbst an Waffen zu kommen, selbst wenn sie es wollten. Die allermeisten Oppositionellen plädieren allerdings so oder so für eine friedliche Revolution. Sie lehnen auch ein militärisches Eingreifen des Westens ab. Trotzdem fühlen sie sich von der Welt im Stich gelassen.  Sori kritisiert insbesondere China und Russland, die als Verbündete von Assads Regime alle Resolutionen im Weltsicherheitsrat gegen die syrische Regierung verhindern.

Gefolterte Kinder

Einige Berichte, die Sori aus seiner Heimatstadt erreichen, sind schlichtweg grauenhaft. Etwa dieser hier: Vor gut sechs Wochen hatten ein paar Schüler aus Daraa den Satz „Das Volk möchte das Regime stürzen“ auf eine Hauswand geschrieben. Kurz darauf wurden die acht- bis 13jährigen Jungen von der Geheimpolizei verschleppt. Ein Verwaltungsbeamter der Stadt teilte den Eltern mit, dass sie ihre Kinder vergessen könnten. Trotzdem entschieden sich diese, auf die Straße zu gehen. Am ersten Freitag der friedlichen Demonstration haben Assads Polizisten vier von ihnen erschossen, berichtet Sori. Einen Tag später mussten sogar 100 Menschen sterben – eine Meldung, die es auch in die westlichen Nachrichten schaffte. Als die Kinder letztendlich freigelassen wurden, berichteten sie von schlimmen Folterungen, von denen einige gut sichtbar sind: Unter anderem wurden ihnen Fingernägel heraus gerissen.

Ein Funken Hoffnung?

Trotz alledem: Die Massendemonstrationen in Syrien gehen weiter. Immerhin sorgt das Internet dafür, dass ein paar Bilder von den syrischen Zuständen nach draußen gelangen. „Ohne Youtube und Facebook würde niemand unser Leid sehen“, sagt Sori. Die deutschen Medien zeigten nur die eher harmloseren Bilder. Auf Youtube sind dagegen Videos zu sehen, auf denen Kinder durch Kopfschüsse sterben oder anderen das halbe Gesicht weg geschossen wurde. „Unsere Hoffnung besteht darin, dass der Westen endlich Sanktionen verhängt – und dass die syrischen Soldaten sich endlich weigern, ihre eigenen Landsleute weiter abzuschlachten“, meint Sori. Ob diese Hoffnung berechtigt ist, ist schwer zu sagen. Zumindest desertieren die ersten Soldaten und suchen Zuflucht bei der Bevölkerung. Werden sie erwischt, droht ihnen die Todesstrafe.

*Name von der Redaktion geändert.

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