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Nunmehr seit Jahren nimmt die Graphic Novel eine der größten Wachstumssparten im amerikanischen Buchhandel ein. Graphic Novels sind en vogue und haben dem Comic-Genre unverhofftes Ansehen verschafft. Kaum verwunderlich also, dass die Süddeutsche im Zuge der um sich greifenden Kanonisierungmanie neben den großen Romanen und Filmen auch eine Reihe mit zehn bedeutenden Graphic Novels auf den Markt brachte – eigens ausgewählt von einer der profiliertesten Feuilletonredaktionen des Landes. Überraschend ist die Auswahl nicht, vielmehr stellt sie unter Beweis, wie einig man sich mittlerweile unter den Connaisseurs des Genres ist.   
Da alles mit Will Eisner (1917 – 2005) begann, beginnt auch die SZ-Reihe mit Eisners Meisterwerk „Ein Vertrag mit Gott“. Aus Verzweiflung hatte Eisner Mitte der 70er den Begriff „Graphic Novel“ in die Welt gesetzt, um für seine graphische Literatur einen etablierten Verlag zu finden. Doch vergebens. Comics verfügten in jenen Tagen über keinerlei hochkulturellen Nimbus.  
Zwar hatte das Genre in der Phase von 1938 bis 1945 bereits sein „Goldenes Zeitalter“ gefeiert. Doch einige Jahre nach dem fulminanten Debüt von Jerry Siegels und Joe Shusters „Superman“ kam es zu einer Absatzkrise innerhalb der Branche. Der Comic Code reichte dem Genre schließlich den Schierlingsbecher. Comics galten fortan als jugendgefährdend, und die Verlage begannen sich selbst zu zensieren. Dagegen rebellierten in den 60ern Zeichner wie Robert Crumb und Gilbert Shelton. Ihre Underground Comix sollten dem Genre zu neuen Höheflügen verhelfen.

Die unsichtbare Kunst

Will Eisner hatte all diese Entwicklungen miterlebt. Die erfolgreiche Actionheld-Serie „The Spirit“ war seine Erfindung gewesen. Doch Eisner wollte mehr. Er nahm eine Lehrtätigkeit an der School of Visual Arts in New York an. Die Bücher „Comics & Sequential Art“ und „Graphic Storytelling“, die in dieser Zeit entstanden sind, sprechen für seinen Drang das Genre auch theoretisch weiterzuentwickeln. Zum Reinschnuppern sei Scott McClouds gezeichnete Comictheorie „Comics richtig lesen“ empfohlen. Mitte der 70er hatte Eisner „Ein Vertrag mit Gott“ schließlich seine Entfaltungsspielräume ausgelotet. Die melancholischen Storys um die Schicksale der Mietsparteien in der fiktiven Dropsie Avenue innerhalb der Bronx während der Depressionsjahre verfügten bereits über alles, was die Graphic Novel ausmachen sollte. Eisner dazu: „Jede der Storys wurde ohne Rücksicht darauf, wie viel Platz sie einnehmen würde, geschrieben, und jede konnte ihre Form aus sich selbst heraus entwickeln, aus dem Ablauf der Erzählung. Die Einzelbilder sind im Gegensatz zur gewohnten Form der Comics nicht mehr aneinandergereiht und haben die gleiche Größe; sie nehmen sich Formate, die sie brauchen, oft füllt ein einzelnes Bild eine ganze Seite.“
War das wirklich so revolutionär? Seltsamerweise schon. Natürlich hatte es gegenüber dem amerikanischen Actionhelden-Comic auch immer andere Tendenzen gegeben. Etwa Hergés (Georges Prosper Remi) „Ligne claire“, die den über alle Maßen erfolgreichen belgisch/französischen Sonderweg kennzeichnete. Auch dürfen die japanischen Mangas nie vergessen werden. Doch Eisner hatte etwas formuliert, auf das sich viele Zeichner­Innen auch international einigen wollten.

Büchner-Preis für Reinhard Kleist

Seitdem ist viel passiert. Das Genre boomt und ist im Laufe der Jahre beinah unüberschaubar geworden. Die angesagten Zeichner heißen nicht mehr Hergé und Morris sondern Lewis Trondheim und Guy Delisle. Die angesagten deutschen Verlage Reprodukt und Edition 52 überbieten sich mit Neuerscheinungen. Wie wichtig war es da geworden, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen und zehn der bedeutendsten Graphic Novels in einer Reihe zu präsentieren. Viele Meilensteine sind dabei, etwa Joe Saccos „Palästina“ oder „Shenzen“ von Guy Delisle. Doch manches wird auch schmerzlich vermisst. Craig Thompsons „Blankets“ wäre so ein Titel und natürlich „Spent“ von Joe Matt. Aber wer kann sich bei dem reichhaltigen Angebot schon entscheiden?
Comics als Schund zu bezeichnen war schon damals reaktionär. Längst ist die Graphic Novel im Feuilleton angekommen. Bereits 1992 erhielt Art Spiegelman für „Maus“ den Pulitzer Preis, und wer weiß, vielleicht wird man in einigen Jahren dem Johnny-Cash-Zeichner Reinhard Kleist den Büchner-Preis verleihen. Gründe dafür gäbe es zur Genüge.

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