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Unter diesem Spielplanmotto der Bochumer Symphoniker soll diskursiv und musikalisch in unterschiedlichsten Formaten erfragt und diskutiert werden, „inwieweit Musik tatsächlich ‚jüdisch‘, ‚antisemitisch‘ oder ganz allgemein politisch sein kann“.

Vollendung und Entgleisung

Die unliebsame Wahrheit ist, dass bei Wagner nichts zu retten ist. Das hat natürlich mit seiner Rezeptionsgeschichte im so genannten „Dritten Reich“ zu tun, aber mehr noch mit seinen antisemitischen Schriften. Er war der Lieblingskomponist Hitlers. „Wagner hat“, so Nietzsche in Der Fall Wagner, „sein halbes Leben lang an die Revolution geglaubt, wie nur irgendein Franzose an sie geglaubt hat“. Er wurde als anarchistischer Kanton steckbrieflich gesucht. Aus dem Handgranaten bastelnden Revolutionär von 1848/49 war dann allerdings schon bald ein reaktionärer und rassistischer Wirrkopf geworden, der sich mit seinem spätromantischen Germanenpomp nur allzu bereitwillig von den restaurativen Tendenzen der Reichsgründung 1871 einspannen ließ. Sein Revoluzzer war Siegfried, der Held der Nibelungen.
Für den ehemaligen Verehrer Friedrich Nietzsche wurde Wagner zu einem (Kriminal-)Fall. Er  ließ sich zunächst verzaubern, blieb jedoch misstrauisch. Für Nietzsche war Wagner ein Perfektionist und Visionär mit „Hysterikerproblemen“, der zu einer Art Prophetengestalt stilisiert wurde. Nietzsche und Karl Schlecta warfen ihm schließlich vor, alle Probleme „im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Meisters“ zu lösen und dabei seine eigene „Instabilität in Prinzipien zu verkleiden“.
Für Wagner lag die Wurzel allen Übels in „Verträgen, Gesetzen, Institutionen“. Diese Ansicht sollte sich jedoch bald ändern, als das christliche Motiv der Erlösung hinzukommt. Vor allem aber wegen seines „schwärmerischen Germanenkults“ gilt er heute vielen als ein irregeleiteter, abzulehnender Blender. Nietzsche attestierte Wagner eine  „pauschale Sehnsucht nach Aufbruch und Umsturz“. Eduard Hanslick ging sogar so weit, über Wagner zu sagen, er sei der „personifizierte Egoismus“.

Kakophonie des Kleinkarierten

Im 19. Jahrhundert ist man nicht nach Bayreuth gefahren, sondern gepilgert. Selbst der Kaiser kam zu den Premieren in Bayreuth. Wagners Plan war es die Kunst zur Religion zu erheben. In Bayreuth sollten einzig seine Werke gespielt werden. Einzig im Jahr 1945, zur Zeit der amerikanischen Besatzung, wurde einmal „Madame Butterfly“ von Pucchini aufgeführt. Heute stehen die jährlichen Festspiele in Bayreuth für die Distinktionsspielarten der Postbourgeoisie. Der Premierenbeginn und -auftakt zieht eine andere Art von Publikum als die (General-)proben. Besonders PolitikerInnen zeigen sich auf dem Bayreuther Hügel alljährlich sehr anfällig für die Fraternisierung mit dem Geldadel. Unvergessen bleibt der Auftritt des ehemaligen Verteidigungsministers Guttenberg nebst Gattin. Aber auch Claudia Roth, die einst die 68er-Politcombo Ton Steine Scherben managte, bevor sie für die Grünen in den Bundestag einzog, konnte der Versuchung nicht widerstehen, sich bei diesem Schaulaufen der Elaborierten zu zeigen.

Noch immer gilt in Israel das Tabu, Wagner aufzuführen. Der Wagner-Clan selbst, umwarb die nationalsozialistische Funktionselite nach Kräften. Wagner, das ist keine Wunde, sondern ein Brandherd. Deutschland hat als Kulturnation durchaus Beachtenswertes hervorgebracht. Beethoven gehört dazu und vielleicht auch Schubert oder Mahler. Aber Wagner gehört nicht dazu. Denn Wagner war immer schon eine Art ‚klinischer Fall‘, wohl unerreicht in seinen Ouvertüren, im Gesamtsujet jedoch ein Tümmler, dem jede Art von Mäßigung und Vernunft fremd blieben. Nun kann man gerade das besonders an ihm lieben. Doch angesichts der wagnerianischen Folgeerscheinungen in der deutschen Geschichte zwingt sich die Frage auf, ob der Preis solcher Irrationalität nicht in einem ungeheuerlichen Ausmaße dem kulturellen Genuss zuwiderläuft.

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