In ihren Beiträgen in der neu erschienenen Publikation „Freedom of Speech“ verfolgen sie einen interdisziplinären Ansatz und binden ForscherInnen aus verschiedenen Bereichen mit ein. Entstanden ist der sechste Band zum Thema „Diskurs“ im Rahmen der gleichnamigen Ausstellung (Freedom of Speech) im Neuen Berliner Kunstverein und im Kunstverein Hamburg. Herausgegeben wird der Band von den Kuratoren der Ausstellung Marius Babias und Florian Waldvogel. Die ForscherInnen des DISS versuchen, das Konzept der Redefreiheit und ihre ideologische Rolle zu analysieren. Dabei untersuchen sie zeitgeschichtliches und historisches Material sowie künstlerische Arbeiten wie beispielsweise die Mohammed-Karikaturen aus dem Jahr 2005 und unterziehen diese einer Kritischen Diskursanalyse. Dabei gehen sie von den theoretischen Ansätzen des Philosophen Michel Foucaults aus, um das Material auf seinen „Wahrheitsgehalt“ hin zu prüfen.
„Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. […] Eine Zensur findet nicht statt“, heißt es im fünften Artikel des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Damit scheint es klar: Die Redefreiheit ist ein Grundrecht, alles andere wäre Zensur, oder? Dass die Frage jedoch nicht so leicht zu beantworten ist, zeigen die WissenschaftlerInnen des DISS auf eindrucksvolle Weise in ihren ungemein spannenden Beiträgen. Die Texte bestehen allesamt aus wissenschaftlich fundierten Abhandlungen, die anhand anschaulicher Beispiele verschiedene Dimensionen der Freedom-of-Speech-Problematik nachzeichnen. Zusätzlich werden alle Beiträge von Bildmaterial illustriert, das auch die Exponate der Ausstellung dokumentiert.
Regina Wamper arbeitet den Karikaturenstreit auf, der durch Veröffentlichungen der dänischen Tageszeitung „Jyllands Posten“ entbrannte. Wamper kommt zu dem Schluss, „dass Bilder selbst keine von den Diskursen losgelöste feststehende Bedeutung haben, sondern in unterschiedlichen Kontexten unterschiedliche Wirkungen entfalten“. Rolf van Raden zeigt in seinem Beitrag „Porno, Politik und freie Rede“, wie der US-amerikanische Stripclub-Besitzer Larry Flint im Zuge der so genannten Hustler-Prozesse eine „Ausweitung der Beschränkung der Äußerungsfreiheit“ erstreiten konnte: Der Gründer und die Redaktion des pornografischen Magazins bedienten sich dazu schon seit den 1970er Jahren subversiv-provokanter Diskurstechniken, mithilfe derer sie zu einem Akteur im Feld der US-Politik werden konnten.
Fiktion entfesselt
Ein besonderes Highlight der Publikation bilden jedoch die letzten vier Seiten: Denn auch der Schweizer Journalist Tom Kummer, der im Jahr 2000 aufgrund fiktiver Interviews in ein mediales Kreuzfeuer geriet, weil er diese unter anderem an das Süddeutsche-Zeitung-Magazin verkauft hatte, hat sich mit einem Beitrag („Die Wahrheit imaginieren“) in dem Band verewigt. Sein Essay ist ein Plädoyer für die Poetisierung der Welt, ein Aufruf zum Hyperrealismus. Kummer ist ein Verfechter des so genannten Konzept- oder Borderline-Journalismus, der als Kunstform begriffen werden kann. Hierbei steht nicht die Wahrheit, sondern der Versuch, „sich durch Selbstsubversion den Spielregeln der Medien, PR-Maschinerie oder Manipulationen von Pressesprechern usw. zu entziehen“ im Vordergrund.
Der Begriff „Meinungsfreiheit“ lässt zahlreiche Missverständnisse zu, weil die Grenzen der Redefreiheit uneindeutiger verlaufen, als es sich mit einem bloß oberflächlichen Blick erschließen lässt. Erste Schwierigkeiten entstehen schon, wenn man sich etwa die Frage stellt, ob Meinungsfreiheit gesetzlich oder moralisch zu definieren ist. Außerdem variiert auch der Wahrheitsgehalt – je nachdem, ob man es in der Analyse mit Geschriebenem, Bildern oder Aussagen zu tun hat. Reichert man die Frage noch um die spezifische Problematik religiöser, künstlerischer oder politischer Dimensionen an, ist die Unübersichtlichkeit perfekt. Wer wissen möchte, wie sich der Verwirrung begegnen lässt, ist mit „Freedom of Speech“ bestens beraten. Die Ausstellung „Freedom of Speech“ ist im Kunstverein Hamburg noch bis zum 13. März 2011 zu sehen.
06 n.b.k. Diskurs, Marius Babias, Florian Waldvogel (Hg.): Freedom of Speech, Kunstverein Hamburg, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2011. 19,80 Euro.
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