Zwei Mittdreißiger haben mit allem gebrochen. Sie stehen auf dem Dach einer Industrieruine und üben Abschläge, der Ball verliert sich in die Weite des nächtlichen Ghettos, irgendwo klirren Scherben. Mit dieser Filmszene aus Chuck Palahniuks gleichnamigem Roman „Fight Club“ gewann Crossgolf 1999 internationale Aufmerksamkeit und trat seinen Siegeszug in die Metropolen der Welt an. Vorbei waren die Zeiten, in denen die Golfambitionierten noch Greenfee entrichten mussten, um auf dem Platz spielen zu dürfen. Vorbei waren auch die Zeiten der elitären Golfclubs, die mit ihren horrenden Beträgen und pointierten Aufnahmebedingungen vor allem soziale Ausgrenzung betrieben. Denn zuvor war der Golfsport vor allem eins: eine auf Geschäftsbeziehungen gezielte Selbstdarstellungsbühne für standesbewusste Bessergestellte. Eine Sportart für Typen also, mit denen man gar nicht gerne spielen will. Doch nun melden die Spielerbanden aus den Brachflächen der Industrie: Der Golfsport wurde erfolgreich dekonstruiert.
Spiele dein Spiel
Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, ein paar Bälle abzuschlagen. Liegengelassene X-Golf-Bälle findet man in städtischen Parkanlagen sowie im Umfeld verlassener Tagebaugruben. Meist erkennt man sie an ihrer Signalfarbe, auch sind sie etwas leichter als herkömmliche Golfbälle. Gerade der Ruhrpott bietet mit seinen Industriebrachen hervorragende Möglichkeiten für die Ausübung dieser Sportart. Das Ziel wird von den Spielern selbst gewählt, auf Etikette komplett verzichtet. Benötigt werden nur einige Schläger und Bälle. Als Schläger bietet sich gerade für EinsteigerInnen ein 7er-Eisen mit Stahlschaft an. Geschlagen wird abwechselnd, das Spiel ist beendet, wenn alle SpielteilnehmerInnen das Ziel erreicht haben. Wie beim klassischen Golf ist der Spieler der Sieger, der mit den wenigsten Schlägen auskommt. Die Regeln sind nicht festgelegt und werden weltweit in unzähligen Varianten gespielt. Trotzdem gibt es viele offizielle und inoffizielle Turniere, bei denen die SpielerInnen sich messen können. Die Beliebtheit dieser Veranstaltungen hat auch außerhalb der eingeschworenen Cross-Golf-Gemeinschaft zugenommen. So spielten etwa beim Stadtgolfturnier in London, das auf Straßen, Treppen, Hinterhöfen und in U-Bahnstationen stattfand, auch Prominente und Profigolfer mit. In Deutschland gibt es mit den Natural Born Golfers Events, dem Firegolfer Crossgolf Open sowie dem Crossgolf Portal Open große Turniere dieser Art.
Schottlands Schäfer
Mit der Etablierung des Crossgolfs wurde der Golfsport auf sein archaisches Moment zurückverfrachtet. Die urbane Variante gilt als Wiederentdeckung der Wurzel des Golfsportes, der in seiner Ursprungsform von den Schäfern in Schottland erfunden wurde. Diese spielten querfeldein und suchten sich frei ihre Ziele. Das Ganze fand sein Ende, als 1754 der erste Golfclub der Welt, der Old Course in St. Andrews, eröffnet wurde. Für einige Jahrhunderte herrschte das Prinzip der Distinktion auf den Golfplätzen. Nach verzweifelten Versuchen wie Bürogolf oder Schneegolf, dieses Prinzip zu brechen, scheint nun die Bastion der Nobelspießer gebrochen. Mittlerweile wird von LokalpolitikerInnen die freie Zugänglichkeit für Jedermann und -frau zu Golfplätzen propagiert, wenn es darum geht, neue Anlagen zu bauen. Die Kontroverse um den geplanten Golfplatz in Bochum-Werne (in bsz 859) veranschaulicht den Wertewandel bezüglich der Sportart hinreichend. Doch eigentlich ist der Golfplatz out. Wieso sollten sich die SpielerInnen auch auf 18 Löcher begrenzen lassen, wenn sie überall spielen können? Fast jede Woche werden neue Varianten aufgetan. Dass sich Crossgolf nicht allein auf Industriebrachen kapriziert, zeigt eine Mitteilung von der Nordsee. So lud der Schauspieler Till Demtrøder im Oktober des letzten Jahres zum Ersten Sylt Cross Golf auf die Insel ein. Als die Bälle über die Deiche und Sanddünen flogen, hatte das Crossgolf ein neues Terrain betreten. So dürfte es wohl weitergehen, bis der letzte Ort bespielt worden ist.
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