Bereits die Abstimmung über den Nachtragshaushalt im Landtag galt als erste Hürde für die rot-grüne Minderheitsregierung (bsz 854). Die Regierungskoalition nahm diese jedoch mit überraschender Bravour: Die Fraktion der CDU war nicht mal vollständig anwesend und einige Abgeordnete der Linksfraktion stimmten wegen eines Missverständnisses sogar für das Gesetz. Doch die Freude von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft darüber sollte bald versiegen.
Die Abgeordneten von CDU und der FDP hatten geklagt, weil in dem Nachtragshaushalt mehr Schulden als Investitionen gemacht wurden, was der nordrhein-westfälischen Landesverfassung widerspricht. Mit 8,54 Milliarden Euro hätte die Netto-Neuverschuldung die anrechenbaren Investitionen in Höhe von 3,91 Milliarden Euro weit überschritten. Um zu verhindern, dass möglicherweise verfassungswidrige Kredite aufgenommen werden, stoppte der Verfassungsgerichtshof die Landesregierung fürs erste. Damit ist der Haushalt zwar noch nicht für verfassungswidrig erklärt, sondern lediglich vorläufig aufgehalten worden. Die endgültige Entscheidung des Gerichts soll in den nächsten drei Monaten fallen.
Nach Bekanntwerden der Anordnung kochte die Stimmung in der Opposition über. Der frischgebackene CDU-Landeschef Norbert Röttgen sprach von einer Sensation und fügt hinzu: „Das Urteil ist die angemessene Quittung für Überheblichkeit und Arroganz einer Verschuldungspolitik, die keine Grenzen kennt und auf Kosten der nächsten Generation geht.“ Auch die FDP strahlt und betrachtet den Vorgang als höchstrichterliche Ohrfeige für Rot-Grün.
Und jetzt?
De facto würde selbst eine Entscheidung gegen den Nachtragshaushalt Rot-Grün nicht am Durchregieren hindern. Der Nachtragshaushalt könnte einfach nach den Forderungen des Gerichts korrigiert werden und erneut durch den Landtag gehen. Die hohen Schulden beruhen zum großen Teil auf neuen Rücklagen für zu erwartende Ausgaben für die Landesbank WestLB und die Kommunen. Das eingerechnet, müssten moderate Einsparungen getätigt werden, um das Gesetz wieder fit zu kriegen.
Politisch ist das Ganze allerdings hochproblematisch. So hat der Finanzminister im Nachtragshaushalt sehr viele materielle Wünsche erfüllt, damit sich Die Linke enthält und so die Mehrheit im Landtag steht. Würde das Gesetz wieder aufgemacht werden, müsste man den Rotstift auch bei den Personalkosten ansetzen, um die Schulden unter die Investitionen zu drücken. Ob das die Linken mitmachen? Außerdem wäre der ganze Hickhack um das erste große Vorhaben der Regierung ein leichter Beweis für ihre Instabilität und fehlende finanzpolitische Kompetenz. Solch ein Makel würde CDU und FDP wiederum Aufwind geben.
Derzeit werden Neuwahlen vom Zögern der Opposition verhindert. Umfragen prophezeien SPD und Grünen einen kräftigen Stimmenzuwachs. Bei der CDU sieht es nicht so gut aus; FDP und Die Linke müssten gar um den Einzug in den Landtag zittern. CDU-Landeschef Röttgen würde ein Wahlkampf als Bundesumweltminister zudem überhaupt nicht in den Kram passen. Aber Stimmungen können schnell mal drehen.
Und dann?
Der Nachtragshaushalt spielt auch in die Planung des Haushalts 2011 hinein, da ein Teil der Neuverschuldung eventuell auf das laufende Jahr abgewälzt werden müsste. Die geplante Abschaffung der Studiengebühren wird dann ein ganz heißes Thema sein. Da Ministerpräsidentin Kraft verspricht, die Einnahmeausfälle der Universitäten aus Landesmitteln zu kompensieren, käme ein großer neuer Ausgabenposten auf das Land hinzu. Auch die versprochenen kostenfreien Kitaplätze sind nicht billig. Wenn Rot-Grün diese Kernprojekte wegen der Haushaltslage streicht, könnten sie einen Sparhaushalt präsentieren und den Ruf als Schuldenmacher abwerfen. Es wäre nicht das erste Mal, dass PolitikerInnen Wahlversprechen brechen.
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