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Die „Hirsch-Q“ ist auch eine Woche nach dem Überfall noch geschlossen. Hinter der Glasfront ist es dunkel, der Blick ins Innere fällt auf kopierte Zeitungsartikel und ausgedruckte Berichte aus dem Internet. Dazwischen in handgeschriebenen großen Lettern der Grund für die am Samstagnachmittag geschlossene Kneipe: „Wegen erneutem Nazi-Überfall geschlossen“. Das dicke Sicherheitsglas ist stark mitgenommen und übersäht mit Sprüngen und Rissen, es hat den Tritten der Skinheads aber standgehalten. Ursprünglich war die Front mal aus ganz normalem Glas – damals, bevor die Dortmunder Nazis anfingen sie und ihre Gäste immer wieder anzugreifen. Irgendwann sind zum Sicherheitsglas noch zwei Überwachungskameras hinzugekommen, die den Bereich direkt vor der Kneipe beob­achten. Von ihnen stammt auch das Video, das die Attacke dokumentiert: Glatzköpfe in Springerstiefeln, die zu später Stunde erst an der Kneipe vorbeigehen, sich sammeln und dann losstürmen. Große Nazis mit breiten Schultern, die in Rage auf die Scheiben eintreten, einen Gast aus der Kneipe zerren und völlig enthemmt auf den am Boden Liegenden eintreten. Der Alptraum dauert nicht einmal drei Minuten, dann sind die Schläger wieder weg. Elf von ihnen kann die Polizei am Bahnhof stellen, unter ihnen auch Sven K.

Terror als Dauerzustand

Drei Minuten Horror, die im Grunde niemanden mehr überraschen: Denn die Dortmunder Nazis halten die Kneipe für so etwas wie die Zentrale einer linken Subkultur in Dortmund. Eine Subkultur, die sie in Dortmund nicht dulden wollen und die sie deshalb mit Terror überziehen. Dabei ist die Hirsch-Q nicht das einzige Opfer. In den vergangenen Jahren wurden die Parteibüros der Grünen und der Linkspartei ebenso Ziel von Angriffen wie ein Buchladen oder eine Familie im Stadtteil Dorstfeld, die sich gegen Nazis engagiert hatte und schließlich vor den Rechten fliehen musste.

Nur Scharmützel an den Rändern?

In den Berichten der Polizei ist nachher oft von Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken die Rede, so auch beim letzten Angriff auf die Hirsch-Q. Ob hinter einer solchen Darstellung schlicht Unbedarftheit, der Versuch neutral zu formulieren und Fehler zu vermeiden oder politisches Kalkül steckt – die Wirkung ist klar: Es seien Extremisten die sich gegenseitig bekriegen. Randgruppen also, um die man sich als brave BürgerIn nicht scheren muss und die es irgendwie ja auch nicht anders wollen?
Die Betreiber der Hirsch-Q widersprechen: Durch die Konstruktion eines Links-Rechts-Konflikts wird „den Opfern eine Mitschuld an den Taten zugesprochen und die gesellschaftliche Tragweite der Attacken verharmlost“, erklärten sie kurz nach der Tat. Außerdem sei die Kneipe überhaupt keine politische Einrichtung. „Das einzige politische Statement, was unsere Gaststätte vertritt, ist, dass Menschen, die durch ihr Äußeres oder ihr Verhalten rassistische, faschistische, sexistische und/oder xenophobe Gesinnungen erkennen lassen, keinen Zutritt zu unserem Lokal haben“, so die Betreiber weiter. Für sie ist das „Kein Bier für Nazis“-Statement auch kein politisches Engagement, sondern eine Selbstverständlichkeit. Eine Selbstverständlichkeit, für die man in Dortmund offenbar zur Zielscheibe von Schlägertrupps wird.

Das Umfeld im Auge

Im Vorfeld der Demonstration am Samstag wurde die Hirsch-Q dann auch von der Polizei bewacht. Im weiteren Umfeld des Demo-Startpunkts beobachteten Polizisten die Ein- und-Ausgänge der U-Bahn-Stationen und die Anfahrtswege. Offensichtlich nicht ohne Grund: mehrere Nazis erhielten Platzverweise. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Störaktionen und Angriffen der Rechten auf TeilnehmerInnen antifaschistischer Demonstrationen. Diesmal blieb es ruhig, nur Schnee und Kälte machten den Protestierenden zu schaffen. Bleibt nur die Hoffnung auf den Klimawandel in Dortmund – und das nicht nur beim Wetter.

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