Das Disparate sexuell aufgeladener Manierismen präsentiert im Reifenrock. Das Publikum erlebt zwei distinguierte Ungeheuer im Wetteifer um einen Nihilismus, der in Gestalt des Liebenden auf seine Opfer hinabfährt.
Frankreich im 18. Jahrhundert. Eine Frau und ein Mann aus den gehobensten Kreisen. Sie gebrauchen die geschmeidigsten Worte. Sie erwecken den glänzendsten Eindruck. Sie verfügen über die vortrefflichste Reputation. Sie sind: Teufel in Menschengestalt. „Man würde mich perfid nennen“, schreibt die Marquise von Merteuil, „und dieses Wort hat mir immer Spaß gemacht; nach dem Worte ,Grausame‘ ist es das süßeste Wort für das Ohr einer Frau.“ Worauf der Vicomte von Valmont ihr zugesteht: „Sie sind doch tausendmal schlechter als ich.“ Und dies, natürlich, nicht auf sich sitzen lässt.
Herzschmerzgarantie
Zwischen Soupers und Puderquasten führen zwei kalte Herzen einen formvollendeten Wett- und Bettkampf um die wollüstigste Verführung, den durchtriebensten Betrug und die rücksichtsloseste Rache. Da sie ihr eigenes Dasein in der Beletage des Ancien Régime so langweilt, suchen sie Abwechslung in erotischen Abenteuern und strategischen Intrigen. Jeder Verrat verschafft ihnen Vergnügen. Prestige bringt, was Leiden schafft. Sie berauschen sich an ihrer Kälte. Und an den zerstörten Leben, die sie hinterlassen. Menschen sind nur mehr Mittel zum Nervenkitzel: „Haben wir unsere Absichten mit ihr erst einmal erreicht, so mag aus ihr werden, was immer kann“, resümiert die Marquise. Gebannt verfolgt man dieses subtile Ränkespiel, den rokokoschwülstigen Rausch der Sinne und deren Manipulation, die noch so viel mehr ist als nur ein skrupelloses Schurkenstück.
L’etat cest moi
Am Rottstr.5Theater setzt man noch auf die großen Gefühle. Sicherlich eines der Erfolgsrezepte dieser gefeierten Bühne. Die junge Regisseurin Katrin Lindner hat ganze Arbeit geleistet und sich nicht auf die bewährte Bearbeitung von Heiner Müller verlassen, sondern den Stoff zu seinem Ursprung zurückgeführt. Was Pierre Abroise François Choderlos de Laclos 1782 am Vorabend der Französischen Revolution als Abrechnung mit der Verderbtheit der aristokratischen Klassen verfasste, ist nicht weniger als der größte, geschliffenste Briefroman der Weltliteratur. Unentwegt gehen hier die Billets und Briefe hin und her, werden geschrieben und gestohlen, kopiert und diktiert, versteckt und umgeleitet. Jeder korrespondiert mit jedem, nur dass der Leser allein alles weiß: die Täuschungen von Merteuil und Valmont und wie sie sich das Vertrauen ihrer Opfer erschleichen. Mit sprachlicher Raffinesse variiert de Laclos Stil und Ausdruck der Adressaten und Absenderinnen. Und der Fall der Marquise und des Vicomtes gerät zur brillant beobachteten Psychoanalyse.
„Für mich waren vor allem die Bezüge zur Gegenwart wichtig“, erklärt die Regisseurin. Abgefahrene Reifen türmen sich auf der Bühne. Im Mittelpunkt stehen wie immer an der Rottstraße der Text und der Mensch. Besonders freuen darf sich das Publikum auf Evamaria Salcher und Michael Lippold. Die beiden phantastischen Schauspieler werden sich in ihren Ränken nichts schenken, wenn sie sich auf der Bühne bezirzen und belauern, anstacheln und ausboten und somit zwei der größten Scheusale der Weltliteratur zum Leben erwecken. Die von „Feldzügen“ sprechen, wenn sie Verführung meinen, und für die es letztlich nur eine selbstzerstörerische Alternative geben kann: „Ihr Geliebter oder Ihr Feind.“ Chapeau – Mehr Theater ist nicht möglich.
Die nächste Vorstellung findet Freitag, den 15. Oktober statt. Kartenreservierung unter: 0163 7615071
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