Bild:

bsz: Wofür steht eigentlich das „Ubu“ in Ubu-Antiquariat?

Wolfgang Jöst: „König Ubu“ ist ein französisches Theaterstück, das gleich bei seiner Uraufführung für einen Skandal sorgte. Es war unerhört, dass das ganze Stück über eine abgewandelte Version des französischen Wortes für „Scheiße“ (eigentlich „merde“), also „Merdre“ (dt.: „Schoiße“ oder „Schreiße“) auf der Bühne ausgesprochen wurde. Diese Wirkung besitzen derartige Wörter auch heute noch. Ich finde, „Scheiße“ ist ein gutes deutsches Wort. Daher der Name Ubu.

Wie ist die Idee zum Antiquariat entstanden?

Ich bin immer gern durch Antiquariate gegangen. Man findet Bücher günstiger und viele, die es neu nicht mehr gibt. Alles begann dann damit, dass ich in der linken politischen Buchhandlung arbeitete, die sich damals in meinem heutigen Ladenlokal befand. Ein Jahr vor der Pleite bin ich ausgestiegen. Ich hatte genug Bücher privat angesammelt, um mit einem eigenen Antiquariat anzufangen. Eine Buchhandlung aufzumachen kostet viel mehr Geld. Für nur 200 D-Mark hatte ich viele Kisten Bücher von einer Frau angekauft, mit denen die Politische Buchhandlung  nichts anfangen konnte. Meine zweite Quelle war ein Secondhand-Bücherstand in der Mensa der Ruhr-Universität Bochum. Für den habe ich Bücher verkauft, bis er keine Lust mehr hatte und das Ganze an mich weiterverkaufte. So hatte ich einen Laden und einen Stand in der Mensa.

Von welchen Kuriositäten und lustigen Begebenheiten weiß der Ubu-Mann zu berichten?

Ein älterer Mann, kam zu mir, als er sich das Stück „Hermann und Dorothea“ im Schauspielhaus Bochum angesehen hatte. Er sammelte sämtliche Ausgaben von „Hermann und Dorothea“ von Johann Wolfgang von Goethe, die er finden konnte, weil er Hermann hieß und seine Frau Dorothea –  eine Story mit „human touch“. Und ich habe mal einen witzigen erotischen Brief in einem Buch gefunden. Besonders lustig war auch eine Lesung von Stewart Home („Purer Wahnsinn“) mit Carsten Marc Pfeffer. Das ist schon  15 Jahre her. Dabei war ich aber auch völlig bekifft und habe sehr gelacht. (Ich frage: „Soll ich das wirklich aufschreiben?“ Daraufhin zeigt er mir ein kleines Schild und sagt, das hätte jahrelang auf seiner Ladentheke gestanden. Auf dem Schild steht: „Seit über 30 Jahren rauche ich Haschisch. Was ist aus mir geworden!?“)

Was liest du privat am liebsten? Und welche Bücher magst du gar nicht?

Das letzte Buch war ein Kriminalroman. Ich lese sehr gerne Krimis. Dieser war von Jean Claude Izzo und heißt „Die Marseille-Trilogie“. Es ist ein tolles Buch mit vielen Tipps für verschiedene Musikstücke und Songs. Ich lese auch gerne englische Titel, damit ich in der Sprache drin bleibe. Kinder- und Jugendbücher mag ich auch. Anspruchsvolle Literatur habe ich irgendwann aufgegeben, zumindest wenn sie so erbärmlich langweilig ist wie der berühmte Mann ohne Eigenschaften, den ich nach 100 Seiten wieder weglegte.

Welche Bücher würdest du weiterempfehlen?

Das Intime Tagebuch der Sally Mara von Queneau. Er hat die literarische Gruppe „Oulipo“ gegründet, was für „Fabrik für potentielle Literatur“ steht. Sie konstruierten Texte, in denen sie zum Beispiel komplett auf den Buchstaben „e“ verzichteten, wie es Perec tat. Und die Resultate machen auch Spaß.

Was wolltest du als Kind werden?

Als Kind wollte ich Förster werden, wegen der Tiere und so. Es ging nicht darum, Tiere tot zu schießen. Nicht Jäger, sondern Förster. Wenn es nach meiner Oma gegangen wäre, hätte ich Pastor werden sollen. Aber das war nichts für mich.

Gibt es auch Trauriges zu berichten?

Leider habe ich es versäumt, ein Gästebuch anzulegen. Aufgrund der vielen bemerkenswerten Leute, die schon im Ubu-Antiquariat zu Besuch waren, ist es sehr schade. Einige Kunden sind mir schon gestorben, ohne dass sie vorher ihre Schulden bezahlt haben.

Wie schätzt du den Status von Büchern als Medium ein?

Ich war jahrelang nicht mehr im Kino. Ich habe keinen Fernseher zuhause. Das Buch ist mir als Medium viel wichtiger. Es ist auch nicht korrekt, dass diese e-books nun „Bücher“ genannt werden. Das sind gar keine Bücher.

Was ist das Schöne an diesem Beruf?

Dass die Bücher und die Leute nie zu Ende gehen. Es ist keine redundante Arbeit. Immer kommen neue Menschen hinzu und Bücher sowieso. Die Kunden, mit denen ich über Bücher, die sie gelesen haben, diskutieren kann. Dabei zählt oft nicht der Umsatz, sondern die Gespräche. Das tut richtig gut.

Stimmt es eigentlich, dass dein Antiquariat die letzte Raucherbuchhandlung Bochums ist?

Schon vor drei Jahren habe ich mit dem Rauchen aufgehört. Demnach ist es keine Raucherbuchhandlung mehr. Für ganz Süchtige stelle ich aber einen Aschenbecher hin.

Welchen Rat hast du für deine KundInnen und Studierende im Besonderen?

Ich empfehle, am Anfang nicht zu viele Bücher auf einmal zu kaufen. Auch Fachschaftsarbeit kann ich empfehlen, weil man direkt mit den Studenten zu tun hat und ihre Interessen so gut vertreten kann.

Würdest du alles noch einmal genau so machen?

Was mir die Studenten heute so vom BA-Studium erzählen, das klingt alles so anstrengend. Wenn ich heute mein Abi hätte, dann würde ich vielleicht nicht noch einmal studieren wollen. Vielleicht würde ich eine Lehre machen. Ich würde den Laden nicht mehr so groß werden lassen. Es ist auch eine Last. Ich habe schon jahrelang keinen Urlaub mehr gemacht, weil ich jede Aushilfe viel zu lange einarbeiten müsste.

Gibt es einen Wunsch für die Zukunft?

Ja, seit einiger Zeit denke ich immer wieder, dass ich gerne jemanden finden würde, der das Antiquariat weiter macht. Ich habe zwei Brüder, die jedoch nichts damit anfangen können. Deswegen wünsche ich mir jemanden, der das aktiv weiter machen wollen würde.

Herzlichen Dank für das Interview.

Mit dem Ubu-Mann sprach Chantal Stauder.

Am 15. Oktober 1986 gründete Wolfgang Jöst das legendäre Ubu-Antiquariat. Nun möchte er ein ganzes Jahr lang sein 25. Jahr feiern, indem er in wechselnden Aktionswochen die Bücher zum halben Preis an seine Kundschaft raushaut. Noch überlegt er, nach welchem Prinzip die Bücher dann über die Ladentheke gehen sollen. Seine Idee für die erste Woche: „Alle Bücher, in denen irgendwo das Wort  ‚Kühlschrank‘ vorkommt, gibt’s zum halben Preis! Die Kunden haben jedoch die Bringschuld und müssen das Wort selber finden und zeigen“.

0 comments

You must be logged in to post a comment.