Zugegeben, im Meer der philosophischen Fragen gibt es Strömungen, die weniger emotional aufgeladene Auseinandersetzungen nach sich ziehen. Wer jedoch einmal mit dem philosophischen Zweifel infiziert ist, schreckt auch vor der existenzphilosophischen Tiefsee nicht zurück. Richtig rund geht es, wenn die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens „Nihilismus“ lautet.
Während man in Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ noch resümiert „Die Hölle, das sind die anderen“, lautet die hart klingende Konklusion für den jugendlichen Protagonisten Pierre Anthon in Tellers Roman hingegen: „Nichts bedeutet irgendetwas, deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun“. Seine MitschülerInnen versuchen ihn daraufhin vom Gegenteil zu überzeugen, was letztlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führt. Dabei stoßen sie auf die ganz großen Lebensfragen. Ist das Leben sinnlos? Welche Dinge sind mir wirklich wichtig und von Bedeutung? Wofür bin ich bereit, Opfer zu erbringen? Sie beginnen zu erkennen, dass eine Antwort zuallererst individuell gegeben werden muss. Ihre Hybris erreicht die Geschichte, als ein Mädchen seine Unschuld opfern soll und einem Jungen, dem seine Gitarre alles bedeutet, ein Finger abgetrennt wird. Die Zweideutigkeit der Aussage „Nichts bedeutet irgendetwas“ verweist auch immer auf die Ambivalenz eines jeden Antwortversuchs. Gerade wenn es um die Abwesenheit von etwas geht – materiell oder ideell – macht der Menschen die Erfahrung, dass oft genug vor allem die Leerstellen ihre ganz eigene Relevanz besitzen.
Es geht auch darum, sich die Härte des Lebens zuzumuten. Wer davor nicht zurückschreckt, darf sich getrost die Provokation von Tellers Buch zumuten. Es sind Urgedanken, mit denen sich die Jugendlichen in „Nichts“ auseinandersetzen. In demselben Moment, in dem wir geboren werden, beginnen wir schon zu sterben. Unser Dasein ist zeitlich begrenzt. Vorschnell werden derartige Gedanken als lebensfeindlich oder gar als gefährlich abgetan. Jede Revolte, die in den Tiefen unseres Selbst und des Lebens wütet, setzt auch immer eine tiefe Zustimmung zu dem voraus, gegen das wir uns auflehnen wollen. Für viele junge Menschen ist die Pubertät die erste Phase, in der sie es wagen, existenzielle Grundfragen an das Leben und die Erwachsenen zu stellen. Zur Entwicklung der eigenen Identität und der eigenen Werte gehört auch das mehr oder weniger radikale Hinterfragen des Lebens an sich und der familiär, sozial oder kulturell vermittelten Werte im Besonderen. Der Wert der Fähigkeit mit Kontingenzerfahrungen umzugehen und unbeantwortete Fragen auszuhalten, erschließt sich dann auch nicht erst im späteren Erwachsenenleben.
Janne Teller: „Nichts. Was im Leben wichtig ist.“ Hanser Verlag, 142 Seiten, 12,90 €
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