Der gebürtige Elsflether ist Kapitänssohn, 36 Jahre alt und studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Latein und Soziologie in Köln und Schauspiel am Studio für darstellende Kunst in Hamburg. Interessiert ist er an Eishockey, Film, Fußball und natürlich Theater. Freiberuflich studiert er Kneipen, Frauen und Fußball. Auf seiner beruflichen Odyssee machte er Halt, um sich unter anderem als Tankwart, Privatdetektiv, Ölsucher, Kindergärtner, Texter und Radioredakteur zu versuchen. Sein Debüt als Regieassistent führte ihn letztlich ans Schauspielhaus Bochum. Im Juni 2009 eröffnete er die Rottstr5, direkt unter den Schienen der Bochumer Glückaufbahn.
Wie kommt man auf die Idee, sich statt von Subventionen ausschließlich über Eigenproduktionen zu finanzieren?
Die Stadt Bochum unterstützt uns finanziell nicht, die sind pleite. Wir würden es aber annehmen. Wir verkaufen uns auch. Wir haben einfach angefangen. Wir haben keinen Karriereplan. Es gab die Gelegenheit. Wir haben ein Wochenende darüber nachgedacht und uns entschieden. Man ist nur Künstler, wenn man arbeitet. Es gibt keine Priorität. Wir teilen die Einnahmen jeweils zur Hälfte auf. 50 Prozent der Einnahmen gehen an die Rottstr5 und 50 Prozent gehen an die Schauspieler.
Was macht die Off-Bühne der Rottstr5 so anders als andere Orte der Kultur in Bochum?
Der Ort an sich, die Lage. Zwischen Peepshow, asiatischem Supermarkt und den Pakistanis im Kiosk. Es ist einer der urbansten Orte überhaupt. Es sind hoch qualifizierte Leute, Profis und Schauspieler, die dort auftreten und arbeiten. Ihre Motivation bei der Rottstr5 zu spielen sind eher persönliche Kontakte, sie wollen nicht mehr sein als sie sind. Es gibt keine Kantine, keine Dusche. Es ist ursprüngliches, pures, freies Theater. Es gibt keinen großen Bühnenzauber, sondern Texte und Schauspieler, die sich verdammt gut präsentieren können. Sie spielen immer Hauptrollen, keine kleinen Rollen. Sie sind an den Charakteren, an den Typen interessiert. Es gibt keine Hebe- oder Drehbühnenfahrten, weil wir es nicht wollen und nicht können.
Gab es Momente oder Ereignisse, von denen ihr nicht gedacht hättet, sie zu erleben?
Alles ist noch immer total unglaublich. Vier Mal die Woche den Laden zu öffnen. Leute wegschicken zu müssen, weil wir übervoll sind.
Wie erklärt sich das Team den Erfolg des Theaters?
Durch Ehrlichkeit und Authentizität. Nähe. Es gibt kein Chichi. Wir arbeiten nicht fürs Feuilleton. Es ist niemals endende Arbeit. Man ist Regisseur und Schauspieler nur, wenn man es macht. Wir üben Berufe aus. Wir haben in einem knappen Jahr mehr gelernt als jemals zuvor. Zum Beispiel organisieren, Dinge, die einem sonst abgenommen werden. Wir haben einen Einblick ins Theaterleben bekommen, in das, wofür vorher immer andere Leute zuständig waren.
Welche Wünsche stehen für euch noch auf dem Plan, für die nächste Spielzeit und was die Zukunft betrifft? Wo möchte die Rottstr5 noch hin?
15.000 Euro. Dann können wir den Laden sichern. Dann wird, egal was passiert, der Laden weiter laufen. Dann nimmt man seine Verzweiflung und lässt sie hinter sich wie ein Feld voller Disteln. Man wird auch beschenkt, wie zum Beispiel durch den Pfeffer-Abend (Anm. d. Red.: Auftaktveranstaltung der Singer-Songwriter-Reihe). Produktionen, auf die man sehr stolz ist, geben Energie. Der Fluch des Erfolges ist Neustrukturierung. Wir müssen Einiges machen. Es wird schwierig, den Erfolg des letzten Jahres zu wiederholen. Perspektivisch wissen wir, dass wir weiter existieren können. Vom Programm her sind wir zufrieden. Im Oktober haben wir viele Gastspieler, zum Beispiel vom Theater Nürnberg und aus London. Es wird bunter, so dass nicht nur ich auf der Bühne stehe. Es entwickelt sich. Mit Theater verdient man kein Geld. Wir sind billiger als Kino und nach einem Jahr, trotz Umbau und Anschaffungen schuldenfrei.
Was habt ihr gelernt, das sich im Rückblick als besonders wertvoll erwiesen hat?
Andreas Bittls Liederabende und Michael Lippolds Regiedebüt zu ermöglichen. Hans Dreher und Oliver Thomas in die Leitung zu befördern. Ehrlich zu sein. Nicht mehr auf die Stars zu warten, sondern selber welche zu produzieren. Auf junge Talente zu setzen.
Wenn ihr mit dem Wissen von heute noch einmal die Chance bekommen würdet, von vorne anzufangen, was würdet ihr anders machen?
Gleich Oliver Thomas und Hans Dreher in die Leitung befördern. Ich hätte letztes Jahr keine Sonderpause gemacht. Es sind Kleinigkeiten, die man verbessern kann. Das kann man vorher nicht wissen. Das ist das Spannende, dass man sich ständig verbessert.
Welche Schwierigkeiten und Herausforderungen sind euch ganz besonders in Erinnerung geblieben?
Es sind immer dieselben. Einen abwechslungsreichen Spielplan zu erstellen. Ein oder zwei Wochen lang wird viel telefoniert, geschoben, getauscht und gepuzzelt. Das ist immer eine große Herausforderung.
Gibt es etwas, das ihr bereut getan oder auch nicht gewagt zu haben?
Nein.
Warum habt ihr euch für euer Projekt gerade Bochum ausgesucht?
Früher bin ich als freier Schauspieler viel hin und her gereist. Ich hatte hier in Bochum ein Bewerbungsgespräch und musste zum Rathaus. Der Mensch, den ich nach dem Weg gefragt habe, hat mich dann persönlich dort hingebracht. Die Stadt ist zwar nicht die schönste, aber ich liebe die Bochumer Mentalität, die Ehrlichkeit und dass die Menschen das Herz auf der Zunge tragen. Maloche wird honoriert. Ich finde jedes Klischee hier großartig. So ein Theater, eine Off-Szene hat hier gefehlt. Wirklich „Underground“ zu machen, das fehlt hier.
Was nervt an Bochum?
Das Wetter nervt. Es regnet unheimlich oft. Es scheint mehr Regentage als in Hamburg zu geben.
Und was gefällt?
Der Intershop. Die Leidensfähigkeit der VfL-Fans. Dass es viele Kneipen und kurze Wege gibt. Man kann alles zu Fuß machen. Ich hasse es, Fahrrad zu fahren.
Wie reagieren andere Kulturakteure auf euch?
Positiv. Wir erfahren viel Lob und Anerkennung, gerade in Theaterkreisen. Wir sind überraschenderweise auch überregional total bekannt. Aus Berlin hört man, dass viele dort großen Respekt vor dem haben, was wir hier leisten.
Was würdet ihr jungen Künstlern raten?
Wenn man es wirklich will, dann muss einem klar sein, dass es keine Freizeit mehr gibt. Du machst als Künstler keinen Acht-Stunden-Job, sondern führst ein Leben. Man darf nicht auf die große Karriere hoffen, sondern muss das machen, was man ausdrücken will. Es geht auch um Rücksichtslosigkeit gegenüber sich selbst. Man darf nicht auf Hilfe hoffen, sondern muss sich selbst helfen. Hilf dir selbst und dir hilft Gott.
Welchen Künstlern würdest du raten, unbedingt dabei zu bleiben?
Denen, die es auf jeden Fall wollen und nicht zu sehr leiden. Die es aus tiefster Seele wollen, ein körperliches Verlangen verspüren, ihre Gedanken und Gefühle künstlerisch ausdrücken zu wollen.
Wer ist eigentlich dieser Arne Nobel und was bedeutet das Projekt Rottstr5 für ihn?
Der Zufall und Neugierde haben mich ans Theater in Köln gebracht. Die Gelegenheit ergab sich und irgendwann endet man dann süchtig. Später kam ich ans Bochumer Schauspielhaus. Ich bin ein freiheitsliebender Mensch und ich wollte freies Theater machen. Ich bekam die Gelegenheit zu einem Experimentierraum, ein Labor zum Ausprobieren. Durch den Erfolg ist das Ganze zu einem Full-Time-Job geworden. Aber es ist großartig, weil man mit dem, was man macht erfolgreich und auch größer geworden ist. Ich bin sehr stolz auf die Leute, die da arbeiten. Es ist eine tolle Crew. Alle sind mit Herzblut und Leidenschaft dabei. Wir sitzen da in dieser seltsamen Halle unter den Bahnschienen. Das bedeutet mir sehr viel. Ich komme von der Küste und bin Kapitänssohn. Hier bin ich eine Art Piratenkapitän. Wie der Laden geführt wird, das kommt dem schon sehr nahe. Wir werden nicht gesponsert, wir sind halt Freibeuter.
Welcher der zuvor gemachten Jobs war letztlich wirklich hilfreich für dich?
Die Arbeit in der Werbeagentur. Es war ein Think-Tank. Spin-off. Es ging um Markeninnovationsprojekte. Das Team bestand nur aus Quereinsteigern. Die Aufgabe war, eine Idee am Tag zu entwickeln. Nicht nur den Gedanken, sondern eine Idee zu entwickeln, kreatives Denken zu formulieren. Das war sehr hilfreich. Und auf dem Bau zu arbeiten, anzupacken. Kindergärtner sein auch, mit Menschen umzugehen. Kinder sind komplett ehrlich. Die sagen, was sie wollen. Da zehre ich immer noch von. Privatdetektiv zu sein war lustig, aber eigentlich langweilig. Das habe ich dann auch nur zwei Tage lang gemacht.
Was wäre aus dir geworden, wenn nicht das, was du bist? Gibt es einen Plan B?
Es gibt einen Plan B. Nach Kanada gehen und ein deutsches Restaurant eröffnen. Die Kanadier fahren total auf deutsches Essen ab. Und ich kann super kochen. Ich finde das wunderbar.
Welche Frage hast du dir immer gewünscht, einmal gestellt zu bekommen?
Was machen Sie mit Ihrem Lottogewinn, Herr Nobel?
Und wonach sollte man besser nicht fragen?
Nach meinem Privatleben. Ich habe keins.
Herzlichen Dank für das Interview.
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