Der Welthurentag geht zurück auf eine Kirchenbesetzung durch Prostituierte in Frankreich 1975 – daher auch die zunächst etwas ungewöhnliche Allianz mit der Kirche, die ansonsten nicht gerade für ihren entspannten Umgang mit Sexualität im Allgemeinen und Prostitution im Besonderen bekannt ist. Anfang der 70er Jahre setzte die Polizei in Frankreich Prostituierte zunehmend unter Druck. In der Folge sahen sich die Sexarbeiterinnen nicht nur mit drohender Strafverfolgung konfrontiert, sondern waren auch gezwungen, ihre Arbeit im Verborgenen zu verrichten. Durch den wegfallenden Schutz, den das offene Arbeiten den Prostituierten bot, kam es vermehrt zu Gewalttaten, die schließlich in zwei Morden gipfelten. Nachdem an die Regierung gerichtete Appelle, die eskalationsfördernde Situation zu ändern, ignoriert wurden, besetzten die Sexarbeiterinnen aus Protest die Kirche Saint-Nizer in Lyon und traten in den Streik. Nachdem der örtliche Pfarrer die Besetzung mit dem Verweis auf die Kirche als Zufluchtsraum für Verfolgte tolerierte, räumte die Polizei auf Geheiß des Bischofs das Gebäude schließlich nach acht Tagen.
Seitdem hat sich viel getan und die Situation ist für die Sexarbeiterinnen (und Sexarbeiter, die es natürlich auch gibt) entspannter als in den 70er Jahren – auch in Deutschland. Grundsätzlich geblieben ist allerdings die Doppelmoral, mit der Sexarbeit diskutiert wird und die sich auch in der Behandlung von Prostituierten niederschlägt. Allein der Umstand, dass die Branche noch jede Krise überlebt hat und in einem solchen Ausmaß existiert, dass Staat und Behörden sich genötigt sehen, sie zu reglementieren, beweist, dass es eine rege Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen gibt. Während auf der einen Seite die Dienste freimütig in Anspruch genommen werden, wird Sexarbeit auf der anderen Seite in die Randbereiche der Innenstädte verbannt, und die in der Branche tätigen Menschen werden mit einem Stigma belegt. In der Konsequenz werden Sexarbeiterinnen in ein Doppel- leben gezwungen, in dem sie verleugnen müssen, womit sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Dies erschwert auch den Ausstieg aus der Sexarbeit, da die eigenen Chancen auf einen Arbeitsplatz außerhalb der Branche sowohl durch Lücken im Lebenslauf als auch durch einen offenen Umgang mit der früheren Beschäftigung schlechter werden.
Wenig hilfreich ist dabei das in der stark emotionalisierten öffentlichen Diskussion um Prostitution dominierende Bild der Zwangsprostituierten, die mit falschen Versprechungen von Schleuserbanden aus dem Ausland nach Deutschland gelockt wurde und hier nun zur Sexarbeit gezwungen wird. So etwas gibt es, und es ist auch richtig, dass dagegen vorgegangen wird. LautDorothee Schmidt von Madonna e.V. sind solche Probleme aber dem unsicheren Aufenthaltsstatus und nicht der Sexarbeit an sich geschuldet. Ausbeutung und Zwang werden erst möglich, wenn sich die Betroffenen nicht wehren können, indem sie zum Beispiel zur Polizei gehen. In diesem Fall droht ihnen schlimmstenfalls die Abschiebung. In anderen Branchen kommt die Ausbeutung von ausländischen Beschäftigten ohne legalen Aufenthaltsstatus zwar auch vor, etwa in der Gastronomie, „von Zwangsköchen oder -kellnern hört man aber nie etwas“, so Schmidt.
Die fast schon obligatorische dis- kursive Verknüpfung von Sexarbeit mit Zwang, Gewalt und Verbrechen rührt womöglich auch daher, dass Prostitution sich eher als Projektionsfläche für Unterdrücktes anbietet, als das beim Kochen und Kellnern der Fall ist. Mit dem eigenen Schmuddelfilm, der auch beim sittsamsten Konservativen ab und an durch‘s Kopfkino rattert, will man selbst bloß nichts zu tun haben. Stattdessen, schreibt Theodor W. Adorno in den Studien zum autoritären Charakter, wähnt das beschädigte Individuum der Moderne die wüstesten sexuellen Exzesse im Verborgenen, bei den anderen. Macht, Unterwerfung und Ausbeutung inklusive.
Seinen Niederschlag auf praktischer Ebene findet das schlechte Image der Sexarbeit etwa bei der Besteuerung. Freiberufliche Prostituierte müssen – ganz selbstverständlich – Steuern zahlen. Da man ihnen von Seiten der Finanzbehörden aber offenbar nicht zutraut, dass sie das auch tun, werden sie einer Pauschalsteuer unterworfen, die für jeden Arbeitstag anfällt. Wie viel sie tatsächlich verdient haben, spielt hierbei überhaupt keine Rolle.
Damit die Sexarbeiterinnen in dem Wust von Sonderregelungen und Fallstricken nicht alleine dastehen, bietet Madonna psychosoziale sowie Gesundheitsberatungen, Info-Broschüren und Hilfen zur beruflichen Integration an. Es handelt sich dabei nicht um reine Ausstiegsberatung, auch wenn das Wissen aus Computer-, Buchhaltungs- und Sprachkursen auch hierfür hilfreich ist. Darüber hinaus erinnert Madonna vor allem daran, dass Sexarbeit „Mitten unter uns“ ist, so das Motto des letzten Internationalen Hurentags. Die Forderungen der Sexarbeiterinnen bringt der Verein auch in diesem Jahr wieder auf den Punkt: „Wir verdienen einfach nur unser täglich Brot und euren Respekt.“
Gottesdienst zum Welthurentag 6. Juni, 10 Uhr Pauluskirche, Bochum
Mehr Infos: www.madonna-ev.de
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