Alle drei Jahre untersucht das Deutsche Studentenwerk die soziale Lage der Studierenden in Deutschland. Erstmals studiert ein relevanter Anteil der Studierenden in Studiengängen mit BA-Abschluss (43 Prozent) und muss Studiengebühren zahlen (59 Prozent). Bei oberflächlicher Betrachtung zeichnet die Studie ein positives Bild hiervon: So frohlockt das Wissenschaftsministerium, dass Studiengebühren keine negativen Auswirkungen auf das Studierverhalten hätten und auch die gestuften Studiengänge besser seien als ihr Ruf. Anders sieht dies der studentische Dachverband fzs: „Erstaunlich ist, wie das Ministerium sich lediglich die Zahlen rauspickt, die ihm gefallen.“
Fakten
Obwohl die Bundesregierung vor drei Jahren die Freibeträge um acht Prozent erhöht hatte, stagnieren die Anzahl der Bafög-Berechtigten; diese bekommen aber im Schnitt 50 Euro mehr im Monat. Obwohl fast zwei Drittel der Studierenden zahlen müssen, bleiben Wanderungsbewegungen aus. Wenngleich die Studierenden in BA-Studiengängen 43 Stunden pro Woche für ihr Studium aufbringen, liegen sie im Schnitt unter der Arbeitsbelastung von Studierenden in Diplom- und Staatsexamensstudiengängen. „Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen deskriptiver und intentionaler Realität“, meint Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des DSW, und widerspricht denen, die zu vorschnell Schlüsse aus der Erhebung ziehen wollen: „Es ist ein zweiter und dritter Blick vonnöten, um zu erkennen, dass in unserem Bildungssystem viele Baustellen offen sind.“ Gemeint ist damit, dass das deutsche Bildungssystem weiterhin sozial hoch selektiv ist und sich akademische Eliten im Wesentlichen selbst reproduzieren. Zwar ist der Anteil der Studierenden aus höheren sozialen Schichten erstmals zurückgegangen. Dennoch ist es dreimal wahrscheinlicher, dass ein Kind aus einem Akademiker-Haushalt an einer Hochschule landet als ein Kind aus einem Arbeiterhaushalt.
Eltern zahlen Studiengebühren
Studiengebühren hätten keinen abschreckenden Effekt, lautet die Kurzformel des Ministeriums. Diese Formel ist aber viel zu kurz gegriffen, denn obwohl die Studiengebühren eigentlich die Studierenden treffen sollten, zahlen meist die Eltern die „Campusmaut“. Lediglich in den Fällen, in denen die Eltern ihre finanzielle Belastungsgrenze bereits erreicht haben – und das ist in den unteren sozialen Schichten häufig der Fall –, treffen die Gebühren die Studierenden direkt. Um diese aufzubringen, müssen Studierende öfter jobben (66 Prozent finanzieren sich ihr Studium damit) oder sparen. Lediglich elf Prozent nutzen Studienkredite. Ergebnis dieser Sparbemühungen ist, dass immer mehr Studierende in die Wohnheime der Studentenwerke drängen oder direkt zuhause bleiben. Gerade der gestiegene Anteil der Studierenden, die während des Studiums im Elternhaus bleiben, senkt die Mobilität innerhalb Deutschlands und erlaubt dem Ministerium den Fehlschluss, dass das Ausbleiben der gefürchteten Wanderungsbewegungen ein Indiz gegen eine Abschreckungswirkung sei.
Licht und Schatten beim BA
Immer mehr Studierende studieren mittlerweile in BA/MA-Studiengängen. Erstmals ist es in der Sozialerhebung möglich, über diese Gruppe gesonderte Aussagen zu treffen. Auch hier klafft eine Lücke zwischen gefühlter und gemessener Realität. Gerade der Druck, der tausende Studierende im letzten Semester auf die Straßen trieb, lässt sich im Arbeitsvolumen für das Studium nicht nachweisen. Dennoch stehen BA-Studierende vor der besonderen Herausforderung, Studium und Erwerbstätigkeit miteinander zu vereinbaren. Sie arbeiten circa zehn Prozent mehr in Nebenjobs, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Der erhöhte Beratungsbedarf in sozialen und psychosozialen Diensten der Studentenwerke lässt aber den Schluss zu, dass der gefühlte Druck auch einen realen Druck des Bildungswesens auf die Studierenden ausübt. Vertiefte Erkenntnisse dürfte aber wohl erst die Sondererhebung des DSW zum BA-Studium ergeben, die im kommenden Frühjahr erwartet wird.
Falsche Freunde
Der Bachelor ist offenbar weniger schlimm als erwartet. Die Studiengebühren verschärfen die soziale Selektivität im Bildungswesen möglicherweise doch nicht so sehr, wie in der politischen Kommunikation oft behauptet. Wer jetzt jedoch jubiliert, alles sei in bester Ordnung, verkennt, wie es wirklich um das deutsche Bildungswesen bestellt ist: Bei der Bildungsselektivität ist Deutschland Spitze, bei den Stipendien nicht. Bei der Belastung durch Bachelor und Master wird den Studierenden eine Menge zugemutet, ebenso bei der finanziellen Absicherung aus einer prekären Mischfinanzierung aus Jobs, Eltern und staatlicher Unterstützung. Und letztlich sei bemerkt: Die Bildungsrendite, also der Aufwand gemessen am zu erwartenden Einkommen, ist in kaum einem Land geringer als in Deutschland.
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