Vier rechtwinklig aneinandergestellte, trapezförmige Stahlplatten bilden einen regelmäßigen Schachtraum über einem quadratischen Grundriss mit quadratischer Öffnung gegen den Himmel. Das Beschmieren des Kunstwerks sowie des Pflasters davor hat Tradition. Ebenso die Frage: „Und das soll Kunst sein?“ – besonders gerne gestellt von MitbürgerInnen, denen Kunst ansonsten Schnuppe ist. Das „Terminal“ bewegt nach wie vor die Gemüter.
Differenz der polyfokalen Räume
Der Künstler selbst freut sich jedoch über den Widerspruch – es ist sogar Serras Intention, das Disparate und Widersprüchliche, ja selbst den Widerstand in den künstlerischen Prozess dynamisch zu integrieren. Das klingt komplex. Die Neuauflage von Kunibert Berings „Richard Serra. Skulptur – Zeichnug – Film“ hilft weiter: Serras „Werke sind eingebunden in Netze, in Räume, in denen sie sich entfalten, in Zeiten, in denen sie realisiert, rezipiert, gelobt, verteufelt, vernichtet oder konserviert werden.“ Aha. So ist es eben Serras Methode, der „site specifity“, geschuldet, wenn die Werke inmitten belebter urbaner Zentren unmittelbaren Bezug auf die Umgebung nehmen. „Die künstlerischen Problemstellungen kreisen um Fragen nach Schwerkraft und Balance, nach Strukturierung des Raumes und Einbeziehung des Betrachters – wegweisend bleibt die Idee eines polyfokalen Raumes und das Problem seiner Wahrnehmung.“ Denn als „dynamisches System“ werden gleichsam der/die BeobachterIn und seine/ihre Wahrnehmung mit in das Kunstwerk einbezogen. Dieses ermöglicht die evozierte Differenz zwischen Objekt, Umwelt und Beobachtung. So erzeugt die rostartige Patina etwa eine Differenz zu den glänzenden Lackfarben der vorbeifahrenden Autos. Auf der Ebene dieser Systemkonstituierung erfolgt eine Einladung zur Kommunikation.
Aufgescheuchte Erfahrung
Doch bis zur Kommunikation war es ein weiter Weg. Zunächst für die documenta 6 in Kassel realisiert, wurde nach langen Verhandlungen unter Intervention der galerie m das „Terminal“ am 20. Mai 1979 vor dem Bochumer Hauptbahnhof aufgebaut. Die Proteste gegen das Kunstwerk waren massiv, populistisch und vulgär. Auch hielten sie über Jahre an. Doch „über Kultur lässt sich nicht abstimmen“, wie unlängst der Bochumer Kulturkritiker Werner Streletz bemerkte. Streletz erlebte den Konflikt damals hautnah und auch heute verteidigt er seine Unterstützung für das Terminal. „Es ist wichtig, sich für avantgardistische Strömungen einzusetzen, weil diese es in der Öffentlichkeit oft schwer haben“, so Streletz.
In manchen Kreisen scheint sich die Ansicht konserviert zu haben, dass Kunstwerke in erster Linie „schön“ sein sollten oder zumindest die Wirklichkeit wiedergeben müssten. Ausgeblendet wird dabei der erkenntnistheoretische Paradigmenwechsel, der unsere Epoche – und damit selbstverständlich auch die Kunst – ausmacht. So ist es die Aufgabe der Kunst, nicht länger die „Wirklichkeit“ zu erfassen, sondern die Konstruktion von Wirklichkeit erfahrbar werden zu lassen. Unter diesen Gesichtspunkten hat Serras Terminal einiges im Angebot. Allein die divergierende Erfahrung von Innen- und Außenwelt. Das Gefühl der Instabilität, die den Betrachter beim Rundgang beschleicht, diese „aufgescheuchte Erfahrung“, die im Gegensatz zur Ausgewogenheit im Schachtraum besteht. Dazu die rostige Patina, die zu den Variablen: Verkehrsströme, Witterung, Lichtverhältnisse den Wandel erfahrbar, die Zeit erlebbar werden lässt. Doch am größten von allen Eindrücken ist der Widerstand, der sich im Betrachter selbst gegen das Terminal regt: ein erhebendes Trotzgefühl. Der beißende Uringeruch verstärkt dieses intensive Kunsterlebnis nur. Ja, wo bekommt man denn so etwas heute noch geboten? Doch genug der Lobhudelei, die letzten Worte sollen dem Künstler selbst gehören: „Ich bin der Meinung, dass ein Kunstwerk, wenn es Substanz hat, weder verschönert noch dekoriert, weder auf ein spezifisches Gebäude hinweist, noch eine bereits existierende Syntax ergänzt. Ich habe keinerlei Bedürfnis, den bestehenden kontextuellen Diskurs fortzuführen. Das würde zu angepasster Verzierung führen.“
Kunibert Bering: Richard Serra. Skulptur – Zeichnung – Film“, (Athena-Verlag), 27.50 Euro.
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