Bild:

Frei nach den Worten des ehemaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht verkündeten Bildungspolitiker_innen Land auf, Land ab zu Beginn des neuen Jahrtausends: „Niemand habe die Absicht, Studiengeb ühren einzuführen!“ – zumindest nicht für alle, die innerhalb der Regelstudienzeit mit ihren ersten Studium fertig würden. Verbieten lassen wollten sich die Länder die Möglichkeit dazu aber auch nicht: Als die Rot-Grüne Bunderegierung ein Verbot allgemeiner Gebühren ins Hochschulrahmengesetz schrieb, zogen sie nach Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht gab ihnen Recht, denn dem Bund fehlte es so lange an einer Regelungskompetenz, solange die Länder sicherstellten, dass Studiengebühren in ihrer Höhe neben den sonstigen Kosten eines Studiums nicht entscheidend ins Gewicht fallen und über Stipendien- und Befreiungsmodelle oder sozialverträglich abgefedert würden. Seitdem ist ein Streit entbrannt: Wie sozial abzufedern sei, damit die Studierneigung nicht beeinträchtigt werde, ließ das Gericht offen. Lediglich der damals diskutierten Maximalhöhe von 500 Euro gaben die Richter ihr Plazet, da dieser Betrag im Gesamtverhältnis zu den Lebenshaltungskosten von nachrangiger Bedeutung sei. Obwohl sie höhere Gebühren damit nicht ausgeschlossen haben, bildeten sie damit eine Grenze nach oben, die vorerst zu halten scheint. Wie Studiengebühren gestaltet sein müssen, damit diese sozialverträglich wären, wurde aber bewusst offen gelassen, um einer späteren Entscheidung im Lichte der Wirkung der Gebühren nicht vorzugreifen.

Sozial ist …?

Sozialverträglichkeit ist kein Selbstzweck, sondern soll lediglich sicherstellen, dass jede_r Studienberechtigte unabhängig vom Geldbeutel der Eltern ein Studium aufnehmen kann. Bei der Umsetzung dieses Ziels bilden sich vier große Linien heraus:

Am sozialsten sind die Gebühren, die gar nicht erst entstehen. Ab dem Sommersemester 2010 verzichten zehn der 16 Bundesländer auf Studiengebühren. Im Saarland und in Hessen wurden sie im Zuge der Wahlen wieder abgeschafft, die anderen acht Länder haben nie welche erhoben.

Sozialer sind Gebühren, wenn sie während des Studiums die Studierenden nicht belasten. Die Freie und Hansestadt Hamburg erhebt die Gebühren deshalb erst, wenn die Studierenden über ein Einkommen von mehr als 30.000 Euro verfügen, also im Regelfall nach dem Studium.

Immer noch sozial abgefedert werden Studiengebühren, die durch Kredit vorfinanziert werden. Zwar belasten diese Gebühren die Studierenden während des Studiums nicht, aber dafür führen sie zu einer Verschuldung nach dem Studium, und da die Kredite bankenüblich ausgestaltet sind, werden zusätzlich zur Tilgung Zinsen fällig. In Nordrhein-Westfalen wurde deshalb ein Korrektiv eingebaut und eine Schuldengrenze von 10.000 Euro inklusive der Forderung nach BAföG im Gesetz verankert.

Letztlich wird immer wieder auch die These vertreten, dass die Höhe der Gebühren an und für sich schon sozial sei, da sie mit 1000 Euro im Jahr nicht wesentlich ins Gewicht fallen würden. Studien des Deutschen Studentenwerks, laut derer Studierende im Jahr über durchschnittlich 9000 Euro verfügen, lassen an dieser These jedoch starke Zweifel aufkommen.

Sozialverträglichkeit und Ausfallfonds

In seiner Entscheidung fordert das Bundesverfassungsgericht die Länder dazu auf, die Sozialverträglichkeit zu gewährleisten. Dass diese sie aber nicht zu bezahlen gedenken, beweist Nordrhein-Westfalen mit seinem Studiengebührenausfallfonds. Zwar stehen die Gebühren grundsätzlich den Hochschulen zur Verbesserung der Lehre zu, jedoch werden vom eingenommenen Betrag erst einmal 14 Prozent an einen Fonds abgeführt, der notleidende Kredite und Ausfälle durch die Schuldengrenze auffangen soll. Damit zahlt jede_r Studierende bis zu 140 Euro jährlich für ein Risiko, dessen Verwirklichung erst durch das Land geschaffen wurde. Überdies steht der Fond in der Kritik, weil er weniger die tatsächlichen Risiken absichert, sondern vielmehr eine Spardose für die landeseigene Fondsverwalterin NRW-Bank darstellt. Prof. Dr. Andreas Hoffjan von der TU Dortmund kommt zu dem Schluss, dass die Risiken des Fonds über die Zahlungen der Studierenden zu 200 Prozent abgesichert seien.

Party-Hütchen und Geschichtsvergessenheit

Das Urteil feierte in der vergangenen Woche seinen fünften Geburtstag – trotzdem kommt weder bei Studierenden noch bei den Hochschulen so recht Feierstimmung auf: Mit den Gebühren hat die nordrhein-westfälische Landesregierung Streit in die Hochschulen getragen und sich selbst aus der Verantwortung gezogen. Der versprochene Geldsegen ist ausgeblieben und immer noch sind Hochschulen massiv unterfinanziert; daran können auch die Beiträge der Studierenden nicht wirklich etwas ändern. Ein Blick in die Geschichte zeigt übrigens, dass man schon mal viel weiter war. 1970 beschlossen die Ministerpräsidenten, dass Studiengebühren die Bildungsbeteiligung negativ beeinträchtigten und schafften die Hörgelder kurzerhand ab. Sie entlasteten die Studierenden damals um umgerechnet 300 Euro. Bereits 1949 musste Hessen die Studiengebühren nach einer erfolgreichen Klage des Jura-Studenten Karl-Heinz Koch abschaffen. 2 Jahre vor Kochs Tod führte sein Sohn Roland sie dann wieder ein.

 

0 comments

You must be logged in to post a comment.