Die regelmäßige Präsenz von Polizei auf dem Campus ist ein relativ neues Phänomen. Noch vor sieben oder acht Jahren gab es kaum Polizeistreifen auf dem Bochumer Uni-Gelände. Zwar ging die Sonderstellung der Hochschulen in Deutschland niemals so weit wie etwa in Griechenland oder Mexiko, wo die Universitäten weitgehend außerhalb der Zuständigkeit der Landespolizei liegen. Gleichwohl war es auch in Bochum so, dass die Polizei die ausdrückliche Genehmigung der Unileitung benötigte, um auf dem Campus tätig zu werden. Ausnahmen konnte sie nur geltend machen, wenn Gefahr in Verzug war.
Bevor der Begriff „Hochschulautonomie“ zu einem neoliberalen Kampfbegriff wurde, gehörte es jedenfalls auch in Deutschland zu den selbstverständlichen universitären Freiheiten, dass die staatliche Exekutive nur in Ausnahmefällen etwas auf dem Campus zu suchen hatte. Heute ist das grundlegend anders. In einer sogenannten Ordnungspartnerschaft räumt die Unileitung der Polizei das Recht ein, auf dem Unigelände genauso wie im städtischen Raum aktiv werden zu können.
Konfliktkultur
Dass ein Rektor Polizeihunderschaften auf den Bochumer Campus bestellen könnte, um sich studentischer Proteste zu entledigen, hielten die Meisten noch zu Beginn dieses Jahrtausends für ein abwegiges Szenario. Den letzten Einsatz einer Polizeihundertschaft an der Ruhr-Uni hatte es während der RAF-Hysterie in den 1970er Jahren gegeben – längst vergangene Zeiten, war man sich sicher. Und das lag nicht an mangelndem studentischem Protest. Wie bereits während des bundesweiten Studierendenstreiks 1997 legten die Bochumer StudentInnen etwa auch im Sommer 2002 den Unibetrieb für mehrere Wochen lahm. Sie protestierten damit gegen die Ankündigung der rot-grünen Landesregierung, sogenannte Langzeitstudiengebühren in Höhe von 650 Euro pro Semester einzuführen. Was den Einsatz von Staatsgewalt auf dem Campus anging, einigten sich der damalige Rektor Dietmar Petzina und die Studierendenvertretung allerdings schnell auf ein gemeinsames Vorgehen: Sollte es zu Streitigkeiten vor den verbarrikadierten Unigebäuden kommen, stand ein Konfliktmanagement-Team aus AStA-VertreterInnen und einem Vertreter der Unileitung bereit. Tatsächlich versuchten einzelne Studierende und Lehrende, mit Gewalt durch die Streikposten zu brechen und riefen bei Misserfolg die Polizei, um Anzeigen wegen Nötigung zu stellen. In so gut wie jedem Fall gelang es allerdings dem Anti-Konflikt-Team, die Polizei vom Campus zu schicken. Es war im Interesse der Unileitung, dass sie Herr im eigenen Hause blieb. Das Interesse der Studierendenvertretung war klar: Der legitime Protest gegen unsoziale Bildungs- und Sozialpolitik durfte nicht kriminalisiert werden.
Alles wird anders
Nur vier Jahre später: Die NRW-Landesregierung hatte die Entscheidung über die Einführung von Studiengebühren auf die einzelnen Hochschulen abgewälzt. Als klar wurde, dass der Bochumer Uni-Senat 500 Euro Gebühren für alle einführen will, umlagerten rund 2.500 empörte Studierende die Senatssitzung und besetzten den Tagungsraum im Gebäude der Universitätsverwaltung. Obwohl dieses Mal nur ein ansonsten weitgehend leerstehender Sitzungssaal besetzt worden war und der Unibetrieb dadurch keineswegs wochenlang lahm liegen würde, reagierte Rektor Gerhard Wagner völlig anders als sein Vorgänger vier Jahre zuvor: Nur sechs Stunden nach der Besetzung griff auf Anweisung des Rektors ein Großaufgebot der Polizei ein, um die Studierenden mit Gewalt aus der eigenen Uni zu räumen und mit Anzeigen wegen Hausfriedensbruch einzuschüchtern. Der größte Polizeieinsatz auf dem Campus seit Jahrzehnten setzte Standards: Die folgenden Senatssitzungen, auf denen letztendlich trotz heftiger Proteste die Einführung von allgemeinen Studiengebühren beschlossen werden sollte, wurden von einem massiven Polizeiaufgebot mit Helm und Knüppel beschützt. Bei den Polizeieinsätzen wurden mehrere Studierende verletzt.
Der Gebühren-Schock
Der Paradigmenwechsel, der sich 2006 auf dem Campus der RUB vollzog, ist erst mit einigen Jahren Abstand vollständig zu verstehen. Bis heute leugnet die Unileitung den Studiengebühren-Schock, den sie vor vier Jahren der Studierendenschaft versetzte. Inzwischen muss jedenfalls konstatiert werden, dass mit der Einführung der Gebühren eine jahrzehntelange Phase institutionalisierter Verhaltensregeln auf dem Campus endete. Eine ganze Studierendengeneration machte 2006 die Kollektiverfahrung, dass die hochschulinterne Demokratie, auf die sie bis dahin vielleicht mit einer gewissen Naivität vertraut hatte, vollständig versagte. Sowohl in einer Internet-Umfrage des Rektorats als auch in einer studentischen Urabstimmung hatte sich schließlich die übergroße Mehrheit der Universitätsangehörigen gegen die Einführung der Studiengebühren ausgesprochen. Trotz dieser mehr als eindeutigen Voten trieben die universitären Gremien die Einführung weiter voran – ein Vorgang, der auf die Mehrheit der Studierenden wie das Handeln eines autokratischen Regimes wirkte, dessen Entscheidungen sich diametral gegen die Interessen der Betroffenen richtete. Diese grundlegende Erfahrung formulierten die Studierenden prägnant in dem Gründungsaufruf zur „Freien Uni Bochum“, die acht Monate lang das leerstehende Gebäude der Übergangsmensa (heute Tutorienzentrum) besetzt hielt. In der Erklärung heißt es: „Vertretungsorgane, die gegen die Interessen der großen Mehrheit handeln wollen, verlieren ihre Legitimation und gefährden damit die ganze Instititution, die sie zu vertreten vorgeben. Wir […] nehmen das nicht länger hin. Wir gründen die Freie Universität Bochum, um für eine Hochschule zu streiten, an der wir unsere Stimme nicht an VertreterInnen abgeben, die andere Interessen als die unseren vertreten.“
Tischtuch zerschnitten?
Es verwundert kaum, dass die Universitätsleitung auch in Bezug auf die Freie Uni ähnlich hilflos agierte wie bei der Senatsbesetzung zuvor. Im Januar 2007 ließ sie das Gebäude gewaltsam räumen. Bis heute hat das Rektorat keinen adäquaten Umgang mit Studierendenprotesten gefunden, die aus der Erfahrung des Studiengebühren-Schocks heraus die Legitimität von Rektorats- und Senatsentscheidungen nicht mehr einfach so anerkennen.
Anstatt allerdings gegen die Mehrheit der Betroffenen durchgesetzte Entscheidungen zu überdenken und damit den Campus möglicherweise wieder zu befrieden, setzen die Verantwortlichen kontinuierlich auf Polizeieinsätze. Die große Anzahl der Studierenden aus den ersten Semestern, die sich an den Besetzungen während des Bildungsstreiks 2009 beteiligten, macht derweil deutlich: Die tiefgreifende Erschütterung des Vertrauens ist längst nicht auf jene beschränkt geblieben, die die Einführung der Gebühren 2006 selbst miterlebten. Anders als in den Jahrzehnten vor Einführung der Studiengebühren ist auch die nachfolgende Studierendengeneration bereit, Aktionsformen zu wählen, die universitäre Räume dem Kontrollbereich des Rektorats entziehen – trotz der angedrohten Repressionen. Unabhängig davon, ob man das für angemessen hält oder nicht: Es handelt sich dabei um eine Realität, mit der sich auch die Unileitung auseinandersetzen muss. Und so wird es eine der wichtigsten strategischen Entscheidungen des Rektorats sein, ob es dies anerkennt und daraus die Konsequenz zieht, dass eine Politik gegen den artikulierten Willen der Betroffenen der gesamten Hochschule schadet. Oder ob sie bereit ist, den Einsatz von Polizeihundertschaften gegen studentische Proteste zur neuen jahrzehntelangen Normalität werden zu lassen.
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