Dabei ist es albern sich über die Etablierung postzivilisatorischer Verfahrensweisen zu echauffieren. Jede TV-Gemeinschaft bekommt das Entertainment, das es verdient, und was ist des Deutschen liebster Zeitvertreib, wenn nicht ausgiebig seiner Herabsetzungssucht frönen und mit seinem Finger despektierlich auf andere zu zeigen. Wenn die kalkulierten Demütigungen dann auch noch unter dem Diktum eines größenwahnsinnigen Leistungsprinzips zelebriert werden, ja dann fühlen wir uns so richtig heimisch in Deutschland. Es darf geweint werden. Wir lieben die Schmerzen der Anderen. Alles sattsam bekannt. Nein, das wirkliche Problem ist ein anderes. Es ist der Frontalangriff auf die Populärkultur.Bohlen ging bereits mit Modern Talking auf Nummer sicher: immer erst die Marktanalyse. Independent oder Alternative hat er bis heute nicht verstanden.

Doch auch die Kaprizierung auf die Gesangsleistungen der Teilnehmer tangiert ein Problem, das Adorno bereits in seiner Schrift „Über den Fetischcharakter in der Musik und die Regression des Hörens“ thematisiert hat: das Verschwinden des Gesamtkunstwerkes. Außerdem: Gute SängerInnen sind nicht automatisch gute MusikerInnen. Im Gegenteil waren die besten Musiker der Popkultur überhaupt keine SängerInnen. Von Bob Dylan bis zu Herbert Grönemeyer – keiner von ihnen hätte jemals Bohlens begehrte Recall-Karte erhalten. Was diese Musiker jedoch ausmachte war ihr kritisches Zeitverständnis, sowie die Fähigkeit zu einem konstruktiven Miteinander. Beides Voraussetzungen, die bei DSDS, zugunsten eines dreimal degenerierten Publikums, systematisch ausgemerzt werden.

Kleiner Trost für all die Kids: Musik darf Spaß machen. Verlasst die Götzentempel der Demütigungsshows und zieht wieder in den Proberaumbunker. Spielt wieder eure Gigs in den Jugendfreizeitheimen, nehmt Drogen und habt Sex. Und vor allem: Scheißt auf die Musikindustrie! Gerade in den Zeiten von Web 2.0 und den günstig geilen Homeproduktionen, wird sich Qualität wieder durchsetzen, ohne dass sich begabte Hoffnungsträger in das postzivilisatorische Mainstream-Korsett zwängen lassen müssen. Popmusik war schon immer das Versprechen eines erfüllten Lebens, eines selbstbestimmten Lebens. Alles andere ist der Tod von Identität und Kreativität. Doch dagegen helfen in den benannten Fällen bereits drei Akkorde und der Glaube an die Ekstase eines bierverschwitzen Publikums.

 

 

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