Immerhin wurden 1948 in den USA rund dreihundert Millionen Hefte verkauft. So kam es schließlich 1954 unter der Ägide des konservativen Frederic Wertham zu dem „Comics Code“ – fortan mussten Comic-Hefte sich selbst zensieren, um verkauft werden zu können. Vorbei waren die Zeiten der illustren Gewaltdarstellungen und Allmachtsphantasien, es folgten stille Tage in Entenhausen.
Die Zensur ging natürlich auf Kosten der Kids, und manch einer rächte sich später in den 60ern am Establishment als Zeichner von Undergound Comix, die in der Darstellung von Gewalt, Sex und Drogen alles bisher Gekannte in den Schatten stellten. Einer der ersten von ihnen war Robert Crumb. Streng katholisch erzogen war es ihm ein Bedürfnis von weitreichenden Konsequenzen, seinen lang unterdrückten Phantasien, nach ersten Erfahrungen mit der Droge LSD, Ausdruck zu geben.
Where it’s at
In der Forschung wird das Geburtsjahr der Underground Comix 1967 mit dem Erscheinen der ersten Ausgabe von Crumbs „Zap Comix“ ausgemacht. Andere wiederum insistieren, dass erst mit der ersten Folge von Gilbert Sheltons „The Faboulous Furry Freak Brothers“ das Eis gebrochen war. Jedenfalls kam es bis zum Markteinbruch von 1973 zu einem gewaltigen Boom. Auflagen von dreihunderttausend Einheiten waren Anfang der 70er schnell verkauft. Doch sollten die Zeichner noch viele Anfeindungen über sich ergehen lassen, bis Crumbs Weggefährte Art Spiegelman für seinen Shoa-Comic „Maus“ 1992 den Pulitzer-Preis zugesprochen bekam und die Underground-Panels ihren Einzug in die Kunstmuseen antraten.
Dass es überhaupt zu einem Underground-Hype kommen konnte, hatte vier Vorraussetzungen, wie Patrick Rosenkranz in seinem Aufsatz “The limited legacy of Underground Comix” erläutert. Zu einem war dort die politische Repression, der sich immer weniger junge Amerikaner beugen wollten. Die Etablierung psychedelischer Drogen sowie das Anwachsen der Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg waren weitere Faktoren. Doch erst mit der Entdeckung einer neuen innovativen Drucktechnologie war es den vier großen alternativen Verlagen Print Mind, Kitchen Sink Press, Last Gasp und Rip Off Press möglich geworden, immer höhere Auflagen in die Szene zu pumpen. Ihren hauptamtlichen Distributionsplatz fanden die Publikationen schließlich in den zahlreichen Headshops, die in diesen Tagen in den amerikanischen Großstädten an jeder Ecke entstanden.
Je einfacher die Darstellung der Figuren gehalten wird, desto größer ist der Identifikationsgrad der LeserInnen mit ihnen. Ein Umstand, der den Underground Comix mit ihrer Tendenz zur Simplifikation in die Hände spielte. Das Ergebnis waren reziproke Einblicke zwischen Figur und Zeitgenosse eines Lebensgefühls. Sheltons Figur „Fat Freddy“ sah man alsbald aller Orten, und Shelton wiederum ließ sich von den „Fat Freddies“ in seinem Umfeld inspirieren. Soweit zur Deduktion. Der große Comic-Theoretiker Scott Mcloud erklärte jedoch, dass die Kunst der Decodierung von Comics in der Induktion zwischen den einzelnen Panels liege. Die visuellen Symbole seien das Vokabular, die Induktion hingegen die Grammatik. Aber stimmt das auch für Underground Comix? – Na logo. Aber genug der Theorie. Schauen wir uns doch mal einen Comic an:
Everybody must get stoned!
Pionier Crumb hatte die Arbeit an „Fritz bugs out“ bereits 1964 begonnen, eigentlich könnte die Geschichte aber direkt aus dem Jahr 68 stammen: Nach Booze-Party und One-night-stand kehrt Fritz am nächsten Tag zurück in seine WG, in der seine Freunde bereits fleißig für das Examen büffeln. Fritz fällt im Angesicht des Lernstoffes in eine Sinnkrise und entscheidet sich, alle Bücher zu verbrennen. Rasch greift das Feuer über, und das ganze Haus brennt ab. Fritz flüchtet nach Harlem, wo er einige Joints raucht, eine weitere Frau kennen lernt und zur Revolution aufruft, weshalb er in eine Schlägerei mit der Polizei gerät, doch flüchten kann. „We shall overcome!“, schreit er den Polizisten hinterher. In seinem Versteck laufen nun all seine Geliebten auf. Selbst seine geliebte Ex Winston ist dabei. Als die Polizei sein Versteck entdeckt, flüchtet Fritz mit ihr nach Frisco. Mitten in der Wüste bleibt der Wagen liegen, das Paar streitet sich und Fritz lässt Winston in der Wüste zurück. Ohne einen Dollar zieht er hungrig durch die Großstädte, übernachtet in Eisenbahnwagons und wird mehrmals brutal zusammengeschlagen. Schließlich kehrt er zurück zu seinen Freunden. „Hi Group!“ strahlt er im letzten Panel. – Wow! Die Swinging Sixtees im Parceforceritt. Doch Crumb, der sich immer weiter in der Darstellung kräftiger behaarter Frauenkörper verlor, wurden bald misogyne Tendenzen vorgeworfen. Trina Robbins war es, die 1970 mit „It Ain’t Me Babe“ das erste „all-woman comic book“ veröffentlichte und somit die (heterosexuelle) Männerdomäne der Underground Comix für die emanzipatorischen Bewegungen öffnete. Bald sollte Joyce Farmers “Tits & Clits” folgen. 1980 gab Howard Cruse schließlich seine Gay Comics heraus, doch der Boom war vorbei.
In den 90ern etablierten sich schließlich Graphic Novels, deren autobiographische Erzählweise ohne den Einfluss der Underground Comix undenkbar wäre. Den Underground Comix selbst wird allmählich der gebührende Platz in der Kunstgeschichte irgendwo zwischen DaDa und Surrealismus zugesprochen. Selbst die Wissenschaft hat das Sujet für sich entdeckt, wie das gegenwärtige Seminar von Klaus Theweleit an der RUB eindrucksvoll belegt. Wie ein Versprechen wirkt die Ära, in der sich für einen kurzen Moment die Avantgarden der Intellektuellen und Künstler mit der Straße verbanden und Ungeheuerliches erschufen, bevor die Postmoderne schließlich alles wieder platt machte. Pionier Robert Crumb übrigens lebt seit den 90ern in Südfrankreich: Er konnte das geistige Klima in den USA nicht mehr ertragen.
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