Wiederbesetzungstagebuch
Es geschieht zur Lunchtime: Als der Audimax-Organist wie jeden Montag gegen eins in die Tasten greift, versammeln sich etwa 100 Studis vor dem Eingang. Ein Video zeigt, wie sich das ungewohnt vielköpfige Auditorium auf ungewöhnliche Weise in den größten Hörsaal begibt – nämlich rückwärts: Die Wiederbesetzung des auditorium maximum beginnt! Während Orgel-Musiker Joachim Wollenweber, der sich mit den Protesten solidarisiert, auf Wunsch der Besetzer_innen abschließend das Kampflied „Auf die Barrikaden“ intoniert, stehen die Studierenden auf und singen mit. „Ich weiß, die Studienbedingungen sind anders als zu der Zeit, in der ich studierte“, sagt Wollenweber einleitend. „Es ist wichtig und richtig, dass Ihr Euch gegen diese Situation wehrt.” Bei so viel Solidarität fällt es den Studierenden leicht, den anwesenden Organisten nach Ausrufung der erneuten Audimax-Besetzung im Anschluss an das Konzert zuzusichern, selbstverständlich sämtliche Orgelkonzerte einschließlich Proben ungestört stattfinden zu lassen.
Verriegelte Türen
Obwohl der Sicherheitsdienst während des ersten gemeinsamen Plenums offenbar zu Kontrollzwecken bis auf einen Seiteneingang sämtliche Türen abschließt und es untersagt wird, das Audimax zu betreten, sind die Besetzer_innen entschlossen zu bleiben. AStA-Referent Martin Schmidt kommentiert die anfangs etwas angespannte Lage: „Es ist zu vermuten, dass dies eine offizielle Anweisung des Rektorats ist und die eine Tür nur aufblieb, um dem Vorwurf der Freiheitsberaubung zu entgehen.” Derweil streben die Besetzer_innen einen konstruktiven Dialog an: „Wir verlangen, dass wir diesmal nicht polizeilich geräumt werden, sondern dass ein konstruktiver Dialog entsteht“, heißt es auf den Bildungsstreik-Netzseiten. „Wir, die Studierendenschaft, sind die Universität, wir haben ein Recht auf diesen Raum.“
Abwartende Unileitung
Und so hofft die Unileitung einstweilen vergebens, dass die Studis das besetzte Audimax freiwillig wieder verlassen. RUB-Pressesprecher Josef König setzt hierbei auf den Placebo-Effekt einer Einrichtung von AGen: „An der Ruhr-Universität hat die Weiterentwicklung der Bachelor- und Masterstudiengänge begonnen. Mit Studierendenvertretern wurden studiengangspezifische Arbeitsgruppen vereinbart, in denen Studierende konkrete Vorschläge zur Veränderung der Studienbedingungen unterbreiten, die an die Fakultäten herangetragen werden.” Finanziert werden soll die Organisation der Arbeitsgruppen zu allem Überfluss – man glaubt es kaum – aus Studiengebühren.
Volles Protestprogramm
Am Dienstag findet daraufhin eine Spontandemonstration mit etwa 150 Leuten statt, die unter anderem über den gutbesuchten Weihnachtsmarkt in der Innenstadt führt. Während europaweit mittlerweile über 80 Universitäten sowie verschiedentlich auch Schulen besetzt sind, geht die ursprünglich auf der von über 3.000 Studierenden besuchten Vollversammlung der Studierendenschaft der RUB legitimierte Aktion auch unter der Woche und übers Wochenende mit vollem Programm weiter: Im zum ‚Protestzentrum‘ auserkorenen Audimax wird ein umfangreiches alternatives kulturelles und politisches Veranstaltungsprogramm auf die Beine gestellt. Nicht nur Dozent_innen werden eingeladen, ihre Lehrveranstaltungen dort abzuhalten, sondern auch Kooperationen mit Uni-Initiativen wie dem megaFON- Theaterfestival oder dem Studienkreis Film angebahnt.
Selbstbestimmtes Leben und Lernen
Die Fortsetzung der Besetzung erweist sich im Laufe der Woche als umso dringlicher, da die von der Studierendenvollversammlung am 19. November verabschiedeten Forderungen von der Universitätsleitung weiterhin ignoriert werden: „So haben die Forderungen nach Abschaffung der Studiengebühren und Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen sowie nach einer Ausrichtung der Lehre auf die Interessen der Studierenden statt auf möglichst gute wirtschaftliche Verwertbarkeit im Rektoratskonzept keinen Platz“, heißt es aus dem Kreise der Bildungsstreik-Aktivist_innen. Die ‚Gesprächsangebote’ des Rektorats seien bislang nichts weiter als Lippenbekenntnisse. Tatsächliche Verbesserungen in Richtung der Forderungen des europaweiten Bildungsstreiks – selbstbestimmtes Leben und Lernen – seien so nicht zu verwirklichen. Die ‚Rückeroberung’ des größten Uni-Hörsaals als von Studierenden selbstgestalteter Lernort könnte kein aussagekräftigeres Zeichen sein, um einen ersten Schritt zur praktischen Umsetzung dessen zu vollziehen.
Das ist der Bildungsgipfel
Seinen vorläufigen Höhepunkt hat die Besetzungschronologie einstweilen mit einem alternativen Bildungsgipfel am Wochenende erreicht, wo das häufig leerstehende Audimax mit Lesungen und politischen Diskussionen zu neuem Leben erweckt wird. In diversen Workshops werden Zukunftsentwürfe und Ziele entwickelt, um das vor die Wand gefahrene Bildungssystem umzugestalten, statt die Bildungskatastrophe ohnmächtig hinzunehmen.
Aber auch an kulturellen Highlights fehlt es nicht: Bei selbstorganisierten Konzerten mit Bands wie Captain Cosmos (Indierock) und No Badderation (Reggae) sowie mit zwei HipHop- und drei Punk-Rock- und Hardcore-Combos wird die verschiebbare Betondecke des Gebäudes endlich mal wieder richtig zum Schwingen gebracht.
Mittwoch Vollversammlung!
Und hoffentlich kommen auch am Mittwoch, den 9. Dezember, wieder viele Studis zur Vollversammlung, zu der natürlich ebenfalls ins Audimax eingeladen wird. Dort soll „das weitere Vorgehen im Kampf für ein besseres Bildungssystem besprochen werden“, so die Organisator_innen. Alle hinkommen!
www.bildungsstreik-bochum.de
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