Heute dient der Betonpalast nicht nur als Aufmarschplatz der Bundeswehr zur Nachwuchsrekrutierung bei der alljährlichen Firmenmesse mit dem vielsagenden Namen bonding, sondern auch als Ort feinsinnigen hochkulturellen Genusses für eine betuchte Elite, die sich die gesalzenen Eintrittspreise für die Konzerte der Bochumer Symphoniker leisten kann. Als äußerst störend für die reibungslose Umsetzung des Mischnutzungskonzeptes aus Kommerz, Militarismus und Hochkultur wurde da natürlich die jüngste Initiative der Bochumer Studierenden empfunden, den Bau seiner eigentlichen Bestimmung als Universitätsgebäude zuzuführen und den größten Hörsaal für eine von über 3.000 Studierenden besuchte Vollversammlung zu nutzen – um ihn dann bis auf Weiteres besetzt zu halten. So groß war der Ärger über die studentische Eigeninitiative, dass offenbar auch vor Stasi-Methoden nicht zurückgeschreckt wurde, um die ‚Besetzer’ auszuspitzeln: Als ihnen Angehörige des Wachdienstes die Benutzung eines Videobeamers verwehrten, nachdem sie einen Studierenden offenbar durch eine Fensterreihe innerhalb des Gebäudes bei dem Versuch beobachtet hatten, diesen in Betrieb zu nehmen, mussten die Scheiben erst mit Banderolen verhängt werden, um eine weitere Observation abzuwehren. Hierbei fiel den an der Verhüllungsaktion Beteiligten ein nicht nur archäologisch aussagekräftiges Fundstück in die Hände: Ein mit einer dicken Staubschicht überzogener Papierflieger, gefalten aus einem Notenblatt mit der Aufschrift „Landesmusikschultag NRW – September 1980 – Liedblatt zum Offenen Singen“. Vielsagend ist vor allem das ebenso angestaubte Liedgut, mit dem der Rest des Pamphlets gefüllt ist: „Fliegt das Lied dem Winde gleich bis ins ferne Türkenreich“, ist dort refrainartig zu lesen. Vielleicht ein geheimer Marschbefehl der Bundeswehr Anfang der 80er? Verwundern würde es angesichts der Regierungsdoktrin, Deutschland gar am Hindukusch verteidigen zu wollen, kaum. Faltet man den vergilbten Kampfflieger ganz auseinander, entdeckt man zudem eine musikalische Hommage an eine Mülltonne auf dem Campus der Sorbonne. In eine solche gehört zweifellos auch das rektorale Nutzungskonzept des Audimax, in dem nach der gewaltsamen Beendigung der studentischen Besetzung durch mehrere Hundertschaften der Bochumer Bereitschaftspolizei prompt wieder die Bochumer Symphoniker für ihren nächsten Auftritt vor erlesenem Publikum probten. Nicht nur unter den Talaren grassiert wieder der alles erstickende Muff – als hätte ´68 nie stattgefunden.
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