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Foto: haje

Es sind laut Goetz diese „hysterisch auftrumpfenden, geldspritzenden und vor allgemein aufgezwungener, überall brutalstens sich selbst feiernde Zustimmungsbegeisterungserzwingung nur so triefenden, ekelhaft vom Schleim der Schleimer und Mitmacher nur so tropfenden, so fürchterlich gewesenen mittleren Nullerjahre hier in diesem DEUTSCHLAND VERRECKE“, die ihre Apotheose schließlich im globalen Zusammenbruch des Herbstes 2008 gefunden haben. Hier setzt Goetz an. Es sind diese drei Monate, die den Nullerjahren ihre asoziale Dringlichkeit für immer eingebrannt haben. Auf einer Vernissage des Malers Albert Oehlens bemerkt Goetz dazu: „Die neue Zeit der Gegenwart der Nullerjahre schaute so aus wie diese Gemälde, grell, hell, brutalstens stressig, hingeschludert, grimmig, hier: willste noch einen in die Fresse, bitte, kannste gerne haben.“

Gleichsam brutalstens stressig ist es, mit Goetz durch dieses Zeitfenster zu gehen. Er besucht die Frankfurter Buchmesse, den Herbstempfang der F.A.Z. und geht bei Rewe einkaufen. Schnell entwickelt er sich dabei zum Meister der abgebrochenen Gedankengänge. Jedoch herrscht eine Grundthematik vor: die der neuen Zeit mit ihren Umbrüchen, ja vielleicht Revolutionen.

Hochakute Sofortistik, Welttextzustand etc.

Im CERN wird der Teilchenbeschleuniger angestellt, Haider fährt sich kaputt, es kollabieren die globalen Finanzmärkte, und Goetz schreibt mit. Die Schrifttechnik des „Loslaberns“ wird ihm zur „maximalen Ethik der Schrift“ – darunter macht er’s nicht. Doch dient „das einfach so dahergelaberte Schreiben“ auch dem Endziel einer „Zeitwahrheit gespeichert pur“. Zudem scheut Goetz keine Verschichtungen des historischen Tableaus, indem er beispielsweise im jüngerischen Stahlgewitter-Sound das Kriegsende 1918 heraufbeschwört. Der Kaiser hat abgedankt. Lesend im Lazarett wird der Verwundete Sozialist. Es ist „ein Untergang der uns bekannten Welt“. Und schon ist der Text wieder bei der Bankenkrise des Herbstes 2008. Die Schuldigen müssen nicht lange gesucht werden: „Hatte irgendwer gedacht, dass Leute, die eh schon blöd waren und deshalb in den späten 90er Jahren BWL, noch mal: BWL!, ja, lauter: B.W.L. ausgerechnet studiert hatten, um bald auch noch selber möglichst viel Geld zu verdienen, dann, nach ihrem kurzen Nichtstudium, wenn sie mit diesem Geld in Kontakt gekommen waren und bald mit nichts anderem als mit diesem Geld und Leuten, die mit diesem Geld zu tun hatten, in Kontakt waren, irgendeinen Minimalschwenk zu irgendeiner Minimalvernunft hin machen würden?“

Es ist immer wieder schön, den alten Punker motzen zu hören. Doch trotz aller eingestandenen „Angst vor [dem] Geld“, ist Goetz mit seiner Erschließung der Nullerjahre im Geldkomplex angekommen. Noch ergeht sich der Autor in Abgrenzungsversuchen: „Was Leute, die gedanklich dauernd mit Geld und Kapital beschäftigt sind, sich unter einem Ich vorstellen, ist echt ein Witz, kein Ich.“ Doch wo wird Goetz mit „Schlucht.“ ankommen? Schließlich wird auch er sich fortan viel mit Geld und Kapital beschäftigen müssen. Der große FDP-Schwenk eines Ulf Poschard wird jedoch mit aller Gewissheit ausbleiben. Für solcherlei Primaballerinareien ist Goetz einfach zu authentisch.

Mit „loslabern“ ist Goetz der entscheidende Schritt in Richtung Thomas Bernhard gelungen, dessen nachhaltige Effizienz gerade in diesen Tagen nach zeitgemäßer Fortführung verlangt, und das in einem Stadium, in dem die Konkurrenz noch bemüht ist, Bernhard zu überwinden. Ab heute heißt es, nach weiteren Ankündigungen Ausschau zu halten: Das Alterswerk hat begonnen! – Wir sind live dabei.

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