Mit „Leavenworth, WA“, einer germano-amerikanischen Milieustudie des 1981 geborenen Südtirolers Hannes Lang, wurde ein sowohl politisch-kulturell pikanter als auch kunstvoll produzierter, zudem noch humoristischer Doku-Beitrag über ein groteskes bayrisches Potemkinsches Dorf im US-Bundesstaat Washington mit dem ersten Preis im internationalen Wettbewerb belohnt. Auch bedachte die Jury des Studienkreises Film (SKF) das Video mit einem Förderpreis. Durch provozierend lange Einstellungen des knapp halbstündigen Films brennen sich Bilder ins Gedächtnis ein, die dokumentieren, wie weit der drohende wirtschaftliche Ruin die BewohnerInnen des amerikanischen Provinznests treibt: Mit leerem Blick und Lederhosen posieren sie reglos gefühlte Minuten lang vor dem Kameraauge, blasen jägerhutbemützt inbrünstig in Alphörner oder verramschen bayrische Kulturdevotionalien in Touristenläden. Germany at its worst, mitten in den USA – die Krise macht’s möglich.

Terminal destination unknown

Den zweiten Hauptprogramm-Preis holte der irische Künstler Michael Fortune mit seiner Video-Montage „Terminal Communication“, die eine verwirrende Verkehrsführung auf dem mehrspurigen Weg zu einem Fähranleger in den Fokus stellt und dabei „heiteren Slapstick-Humor verblichener Stummfilme auf eine fürchterlich schlecht ausgeschilderte Kreuzung münzt“, wie es im liebevoll zusammengestellten Veranstalterkatalog heißt. „Aus einer einzelnen, statischen Zeitraffer-Aufnahme bestehend, zeigt der amüsante Kurzfilm die mitunter schreiend komischen Manöver der Autofahrer und ihre hilflosen Versuche, sich an den kryptischen Markierungen zu orientieren. Riskante Geisterfahrten inklusive.“ Ganz wie im wirklichen Leben.
Den dritten Preis bekam die mit indonesischen Wurzeln in Deutschland geborene Sandy Widyanata für ihr auf den ersten Blick als „Feel-Good-Movie“ konsumierbares narrativ-realistisches Experimentalvideo „Plastic“. Das von der Bochumer Studentin kunstvoll inszenierte humoristische Spiel mit körperlichen Deformationen zur Überdeckung vermeintlicher Schönheitsfehler kann jedoch durchaus auch als chiffrenhafter Verweis auf die Fallstricke plastischer Chirurgie in einer von oberflächlichem Körperkult besessenen Gesellschaft begriffen werden. Â

Ende der Komödie

Eine Vorliebe für psychologische Abgründe bewies die SKF-Jury durch die lobende Erwähnung eines mit seinem knallharten Plot gleichermaßen glänzenden wie verstörenden Beitrags: Ausgezeichnet wurde der Kurzfilm „È finita la commedia“ der Belgischen Regisseure Jean-Julien Collette und Olivier Tollet, welcher es durchaus mit großem Erzählkino im Stile des Taxi-Episodenfilms „Night on Earth“ (1991) aufnehmen könnte. Bei den beiden Belgiern endet die mit einem existentialistischen Unterton ungelöster Konflikte zwischen Vater und Sohn durchsetzte dialogische Komödie, welche sich wie bei Jim Jarmusch fast ausschließlich im klaustrophobischen Innern eines Fahrzeugs abspielt, mit einem Knall: Im Kofferraum liegt die Leiche der Ehefrau und Mutter.   Â

Einen Freiraum als Ausweg aus erdrückender familiärer Enge dagegen zeigt der 1944 geborene Schwede Jan-Eje Ferling in seinem erzählerischen Kurzfilm „Frizon“ auf, der die Geschichte eines 59-jährigen Dorfpfarrers in den Blick nimmt, der massiven sozialen Widerständen trotzt und seine verborgenen Neigungen als Transvestit geradezu sakral auslebt. Dieser künstlerisch kompromisslose Beitrag einer psychologisierenden obsessiven Innenschau wurde mit dem Publikumspreis belohnt.

Futuristische Verspieltheit und VJing at its best

Als experimenteller Kontrast gegenüber den erzählerischen Highlights erwies sich der fünfminütige Beitrag „Aanaatt“ von Max Hattler. Gleich zur Festival-Eröffnung präsentierte der Brite „von futuristisch pluckernden Elektronik-Klängen“ durchsetzte, „kunstvoll arrangierte Stop-Motion“ und erhielt hierfür den Veranstalterpreis. Höchste technische wie künstlerische Qualität bekam man auch beim diesjährigen Videojockey-Wettbewerb zu sehen, den der spanisch-belgische Künstler Rafaël für sich entscheiden konnte. Eindrucksvoll stellte Rafaël unter Beweis, dass die Multikunstform des VJing auch „anspruchsvoll einfühlsam und engagiert“ als „erzählerische Performance“ zelebriert werden kann. Wenn es jemals so etwas wie eine „klassische Moderne“ der VJ-Kunst geben wird – Rafaël würde zweifellos als eine ihrer Ikonen gelten. Eine „lobende Erwähnung“ erhielt zudem das niederländische Duo Zanne (Bekirovic und Jin Oretiz de Haas) für ihre körperästhetisch-künstlerisch verspielte Performance. Â

Taxi Teheran und Stahlwerkmassaker

Den GrandVideoSlam konnte Lukas Jötten mit einem beherzten „Stahlwerkmassaker“ für sich entscheiden, während Christopher Schilz mit „A Dog and his Motorhome“ das Bochumer Programm gewann. Leer gingen dagegen leider die diesjährigen Beiträge aus dem Iran aus, dem beim 19. Internationalen Videofestival ein eigenes Spezial-Programm gewidmet war. Dies mag daran gelegen haben, dass alltagsdokumentarische Beiträge wie „Taxi Teheran“ oder die Band-Tournee-Doku „From Tehrans Underground to Osnabrück“ etwas langatmig geraten waren und gerade vor dem Hintergrund des aktuellen politischen Geschehens im Iran zu brav wirkten. Dennoch ist beim Festival insgesamt eine Renaissance des Politischen zu konstatieren, die ein „Weiter so“ für das 20. Jahr wünschen lässt.

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