Haben das nicht alle Werbekampagnen gemeinsam, dass sie allesamt irgendwann anfangen zu nerven? Sicherlich, und das ist auch gewollt und gut so, mag der Zyniker antworten, und wir wollen ihn somit von dannen ziehen lassen. Es gibt zwar keine Statistiken darüber, aber die fortschreitende Vulgarisierung sämtlicher Lebensbereiche mag Auskunft geben über die schädlichen Einflüsse, denen sich der Konsument täglich ausliefert sieht. Allerdings nur in der Theorie, denn die Oberflächen bestechen durch Design und Funktion. Dazu später mehr.

Im Grunde war es eine gute Idee der Werbestrategen gewesen, diverse bildzeitungsfreundliche Prominente nach ihrer Meinung zur Bild zu fragen. Nicht gerade originell, aber eben sicher, denn so etwas zieht. Überhaupt hat Werbung ja nichts mit Kunst zu tun, auch wenn das manche Oberstufenschüler immer wieder behaupten. Nein – Werbung ist nichts anderes als ein niederträchtiger Appell an die Triebstruktur des Menschen. Zwar straffrei, jedoch eher geduldet als respektiert. So ähnlich wie Haschisch in den Niederlanden. Von dieser Ebene betrachtet bewegt sich die Werbekampagne auf Augenhöhe mit den Marktkonkurrenten im Marketing-Sektor. Der kleine Philipp Lahm weiß etwas Liebes über die Bild zu sagen, und auch der gute Onkel Gottschalk steht mit Lob beiseite. Gangster-Rapper Sido dankt der Bild sogar „für die Titten“ (O-Ton) und gibt sich somit erst gar nicht einen intellektuellen Anspruch, den er später nicht einlösen könnte. Ganz anders dagegen Wolfgang Joop: die Attribute attraktiv, liberal und erfolgreich scheinen das Sonnenkind nicht länger auszufüllen. Mitnichten – Joop versucht sich an Susan Sontag!

Dekor encore d’accord empor?

„Bild ist camp“, so steht es nun da, unterschrieben mit „Wolfgang Joop“. Man traut seinen Augen nicht. Aber damit nicht genug, der Designer wagt sogar eine groovy Translation: „Übersetzt heißt das, man hat einen eigenen Stil. Einen, der polarisiert. Mal ist man ‚under the top’, mal ‚over the top’.“ – Ein wenig erinnert Joop in dieser Pose an einen Wahrsager, der nachdem er nachdenklich in seine Kristallkugel geblickt hat, seinen Klienten ernst anschaut und dann sagt, es müsste wieder mehr Bands wie Kajagugu geben.

Der Begriff Camp geht auf Susan Sontags Artikel „Notes on ‚Camp‘“ aus der Partisan Revue von 1964 zurück, und beschreibt das Phänomen einer abwegigen Aneignung von Objekten, die der Mainstream ausgesondert hat. Ein Phänomen, das besonders in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts zu beobachten war, seine Vorläufer aber bereits im Dandytum im 19. Jahrhundert findet. Natürlich besteht nach der Lektüre von Susan Sontags Referenzartikel die Gefahr sich in den Niederungen eines unpolitischen Ästhetizismus zu verlieren. Aber die Emphatisierung des Banalen, der Geheimtipp, das Goutieren abseitiger ästhetischer Aspekte der Massenkultur in urbanen Kleingruppen von Eingeweihten wird stets von einer gewissen Theatralik und Verspieltheit getragen. Camp eignet sich das Verschrobene ironisch an. Die Distanz zum Objekt muss gewahrt werden. Das Objekt wird in Anführungsstriche gesetzt, ansonsten ist es Trash oder Kult. Oft wird argumentiert, dass Trash durch seinen Mangel am Mitteln, Camp hingegen durch seinen Überfluss bestimmt werden könnte. Diese Einschätzung ist zwar nicht ganz falsch, führt jedoch auf die falsche Fährte. Denn gerade in seiner ironisch gebrochenen Affirmation des Dekors offenbart Camp sein politisches Potential, da diese sich gegen die moderne Architektur richtet, gegen das Design der hohen Funktionalität. Gegen die normativ geprägte Alltagskultur, gegen die Bildzeitung und vor allem gegen Wolfgang Joop, der Ironie mit Zynismus verwechselt. Es schwingt im postmodernen Dandytum eben auch immer ein zartes Dagegen mit.    Â

Noch mehr Kajagugu     Â

Nun ist Bild also Camp. Was folgt als nächstes? Wann wird Hartz IV cool sein? – Ein wenig erinnert diese Kontroverse an die semiotischen Guerillataktiken der Subkulturen, durch die sich zum Beispiel Homosexuelle den Begriff „schwul“ aneigneten. Nur, dass die gegenwärtigen AkteurInnen keine diskriminierten Gruppen sind, die um ihre Teilhabe am Diskurs kämpfen.

Wo sind nur die guten alten Tage geblieben, in denen so Leute wie Wolfgang Joop über so Leute wie Heidi Klum „zu dick, zu klein, zu dummes Grinsen“ gesagt haben. Das war doch wundervoll! Genau das erwartet man doch aus dieser Ecke. Gar nicht auszumalen, wenn diese pseudo-intellektuellen Ausrutscher in der Promi-Welt Schule machen sollten! Dieter Bohlen schwadroniert im Werbesehen über „Cholesterinwerte“, da droht es bereits zu kippen. Oder wussten Sie, dass Gottschalk ein Semester Germanistik studiert hat? Gefahr, wohin man blickt. Aber was tun? Kein Atomschutzbunker mit Kabelanschluss scheint vor dieser Gefahr gefeit. Also Dekor drüber, Dekor und Zeit. Denn jetzt heißt es warten. Entspannt lehnen wir uns zurück, und ergeben uns der Gewissheit, dass in wenigen Jahren Joops Kollektion Trash sein dürfte. Ob es dann wohl immer noch die Bildzeitung geben wird? Bestimmt.   Â

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