bsz: Johannes, wie lange gibt es das Theater Gegendruck schon und welchen Projekten widmet ihr euch?

Johannes Thorbecke: Theater Gegendruck gibt es seit 1983 – wir existieren bereits in der dritten oder vierten Generation. Wir haben als Song- und Straßentheatergruppe in den 80er Jahren angefangen, politisches Theater zu machen. Seit den 90ern haben wir unser Wirken auf die Bühne verlegt: Es begann mit dem Auschwitz-Oratorium „Die Ermittlung“ von Peter Weiss, und seitdem führen wir jährlich mindestens eine neue Produktion mit politisch brisanten Themen und Autoren, die uns am Herzen liegen, auf – neben Peter Weiss sind dies vor allem Bertolt Brecht und Heiner Müller.  Â

bsz: Warum habt ihr für euer aktuelles Aufführungsprojekt Heiner Müllers „Horatier“ gewählt? Inwiefern ist das Stück relevant für das politische Gegenwartsgeschehen?

Johannes Thorbecke: Der Hintergrund vom „Horatier“ ist eine antike Sage von Livius, aber Müller hat – wie auch in anderen Stücken – diesen antiken Mythos genommen, um aktuelle Probleme zu diskutieren: Damals jene, die 1968 in der DDR bestanden sowie im Verhältnis der sozialistischen Staaten untereinander – aber wir haben schnell festgestellt, dass dieses Stück von ´68 eigentlich auch genauso ins Jahr 2009 passt. „Der Horatier“ spiegelt eine von tiefen Widersprüchen zerrissene Gesellschaft in einer akuten Krisensituation. Und es geht um die Frage: Wie kann man einen Konflikt beilegen, der zwischen verschiedenen Stämmen des frühen Roms, Horatiern und Kuriatiern, entsteht, um sich gegen die Invasion von draußen – durch die Etrusker – zu wehren.

bsz: Der gesellschaftliche Ausnahmezustand des Krieges ist für die bundesrepublikanische Gesellschaft seit Ende der 90er Jahre leider wieder zum Normalfall geworden. Welche Lesarten des Stückes wären unter friedenspolitischen Gesichtspunkten denkbar, etwa zum Thema „Stellvertreterkrieg“ sowie der Täter-Opfer-Problematik?

Johannes Thorbecke: Zwar wird das Kräftemessen der kapitalistischen Großmächte um Vorherrschaft in der Welt untereinander derzeit noch vor allem auf wirtschaftlicher und politischer Ebene ausgetragen. Aber je mehr sich die Interessensgegensätze verschärfen, nutzen die Großmächte die Möglichkeit, mit Hilfe von Stellvertreterkriegen – wie im „Einzelkampf“ Mann gegen Mann im „Horatier“ symbolhaft praktiziert – ihre Einfluss-Sphären zu sichern, ohne selbst militärisch eingreifen zu müssen. Dies konnte man unter anderem im Jugoslawienkrieg beobachten und ebenso letzten Sommer in Georgien.

Zum anderen zeigt sich in der Figur des Horatiers sehr aktuell der Konflikt, der angesichts der traumatisiert aus dem Afghanistankrieg zurückkehrenden Soldaten auch in unserem Lande manifest wird: Im Krieg ist das Töten durch den Staat ausdrücklich legitimiert – es wird sogar dazu ausgebildet. Im Frieden heißt derselbe Vorgang Mord und wird unter Strafe gestellt. In der Figur des Horatiers wird auf tragische Weise gezeigt, wie schnell ein Kriegsheld diese gesetzten Grenzen überschreitet – und sich dabei irrtümlicherweise von der Gesellschaft in seinem Handeln gedeckt fühlt. Die Diskussion im Stück zeigt den grundlegenden Widerspruch, in den sich eine Gesellschaft begibt, wenn sie versucht, die Tötung im Kriege und im Zivilleben zu trennen.

Das Gespräch führte Ulrich Schröder.

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