Künstler wollte er werden, und das von Anfang an. Bottrop, Mitte der 60er Jahre – das war nicht eben das Milieu, in dem der Soziologe Pierre Bourdieu den Kunsttrieb eines Heranwachsenden verordnet hätte; nichtsdestotrotz macht sich der junge Werner Streletz auf, ein großer Maler zu werden. Gleichsam schwappt die Beat-Welle über das Ruhrgebiet, und schon bald versucht er sich in diversen Beat-Bands. Auch als Liedermacher ist er unterwegs, und 1966 gewinnt er sogar den ersten Preis des „Folksong-Festivals“ in Gelsenkirchen. Nach seinem Schulabschluss beginnt er eine Ausbildung zum Bauzeichner. Ein Kompromiss – eh egal, da er in Bälde von seiner Kunst leben könnte. Doch bessere Bands sollten die Bühne betreten, und Streletz findet sich im Zeichensaal der Stadt Bottrop wieder, nunmehr ganz der Lektüre von Rimbaud und Baudrillard bis zu den Surrealisten zugetan, deren existentialistisches Freiheitsversprechen den immer noch jungen Streletz umspielen, und die Idiosynkrasien zu seiner beruflichen Tätigkeit wachsen lassen.

Tangled Up In Blue

Es folgt die erste Ehe, das erste Kind, und nebenbei mausert sich Streletz zu einem Dichter, der bereits mit seinem ersten Einakter einen Achtungserfolg einfahren kann. Doch wächst der Leidensdruck im Zeichensaal. Ist dies wirklich der richtige Ort für einen jungen, begabteKünstler? Es sind die 70er Jahre, eine gewaltige Aufbruchstimmung legt sich über das Land, alles scheint plötzlich möglich zu sein. Streletz betont im bsz-Gespräch, dass er sich ohne diesen Zeitgeist-Anschub wohl in seine Existenz-Katastrophe gefügt hätte, aber so versucht er das scheinbar Unmögliche: Er schickt seinen Ein-Akter und ein paar Gedichte an die WAZ-Redaktion in Essen, und ja – schon kann er ein Volontariat beginnen. Seit 1985 ist Streletz Kulturredakteur bei der WAZ in Bochum. „Sie küssten und sie schlugen ihn“, wie Tom Thelen unlängst seine Position an vorderster Front des Bochumer Kulturlebens beschrieb. Nebenbei versucht er sich weiterhin als Autor. Doch lange bleibt sein Werk relativ dünn, da ihn das Schicksal hart anfasst. Mit einem wilden und intensiven Leben antwortet er auf die diversen Schicksalsschläge. Eigenschaften, die vorerst das Å’uvre eines Autors beschneiden können, es jedoch vermögen, sein Werk im Alter ins Unermessliche wachsen zu lassen.

Harvest In The City

Es folgen ein knappes Dutzend Hörspiele für den WDR, Gedichtbände in Mundart und ein Film mit Tana Schanzara. Doch das reicht nicht. Weiterhin feilt Streletz an seiner Poetologie. Die Außenseiter haben es ihm angetan, gleichsam das Fantastische, das Schwarze. Von Hoffmann über Poe bis zu Bukowski spannt er seinen konstitutiven Bogen. Dem „läppischen Dahergeplänkel“ der Gegenwartsliteratur bietet er die Stirn. Und immer wieder ist es das Ruhrgebiet, in dem sich seine Prosa entfaltet. Doch will er nicht als Stimme des Ruhrgebietes verstanden werden. Auch verwehrt er sich gegen den verordneten Zwangsoptimismus des Kulturhauptstadtjahres 2010. Vielmehr interessiert ihn die Härte dieser Region. Was passiert, wenn ein sensibler Mensch auf die harten Stahlplatten einer Wirklichkeit aus Industriebaracken fällt? Hier, wo alle Menschen so selbstverständlich und offen sind, aber auch stets eine Lösung parat haben? Wie übel werden die liebenswerten Menschen dem Außenseiter mitspielen? Das sind die großen Fragen der Literatur, aufgrund derer es sich lohnt, ein Buch aufzuschlagen.
Nachdem Werner Streletz für seinen Roman „Kiosk kaputt“ der Ruhrpreis 2008 zugesprochen wurde, erschien in diesen Tagen sein nächster Roman „Pokalkampf“. Wir dürfen gespannt sein.

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