„Die Geburt der Deutschen“ überschrieb der Spiegel am 15.12.2008 seine Titelgeschichte, anläßlich des zweitausendjährigen Jubiläums der Varusschlacht, „als die Germanen das Römische Reich bezwangen“. Zu fragen bleibt, ob diese „Geburt“ wirklich in der Antike anzusiedeln ist, da es sich von jeher als ein weitreichender Irrtum erwiesen hat, die Abstammung der sogenannten Deutschen von den sogenannten Germanen herzuleiten.
„Als die Römer frech geworden, zogen sie in den hohen Norden“, dichtete 1847 Joseph Victor von Scheffel zu seinem populär gewordenen Lied, das eine patriotische Einstellung zum Ausdruck brachte. Die Vision, dass sie von dem unbeugsamen Krieger Arminius abstammen, muss für die braven Bürger des langen 19. Jahrhunderts wie ein Narkotikum gewirkt haben, unter dessen Wirkung sie das Aufkommen der Sozialen Frage sowie die Rückständigkeit einer restaurativen Monarchie ausblenden konnten. Zudem erlaubte es der Mythos, eine Front gegenüber den als schädlich empfundenen romanischen Einflüssen zu ziehen. Die Anfänge der Arminius-Rezeption liegen jedoch weiter zurück.
Bereits Mitte des 12. Jahrhunderts berichtete Otto von Freisings über die Varusschlacht. Das Ergebnis war eine Verklärung mit Sagen und Mythen sowie profanen und biblischen Geschichten. Im Humanismus erhielt die Arminius-Rezeption einen Auftrieb. Ausgangspunkt dazu waren die wiederentdeckten Schriften des Tacitus (1455 die Germania im Kloster Hersfeld, 1507 die Annalen im Kloster Corvey). Das Lob des römischen Historikers auf die Germanen erlaubte vor allem in den Augen der deutschen Gelehrten des Humanismus, damit dem Vergleich mit den anderen großen Kulturnationen der Antike standzuhalten. Die zeitliche Distanz ignorierend verbanden die Humanisten den Begriff „Deutsche Nation“ mit ethnischen Vorstellungen und beschrieben unter Zuhilfenahme der antiken Quellen einen Idealtyp des „deutschen Menschen“. Demgemäß versuchte der päpstliche Gesandte Giantonio Campano die deutschen Fürsten auf dem Regensburger Reichstag 1471 mit Hilfe der Taciteischen Schrift samt dem Hinweis auf die besondere Kampfkraft der „Deutschen“, für den Krieg gegen die Türken gewinnen.
Den Heer-mann von hertzen lib
Der Name „Hermann“ für Arminius kam 1530 im Umkreis von Martin Luther auf. Abgeleitet wurde er aus „Heer-mann“ für „dux belli“. Luther schwärmte: „Wenn ich ein poet wer, so wollt ich den zelebrieren. Ich hab in von hertzen lib“ (Tischreden 5, 415). So kam es im 16. und 17. Jahrhundert zu zahlreichen literarischen Bearbeitungen des Arminius-Stoffes -beispielsweise bei Ulrich von Hutten in seinem „Arminius-Dialog“ aus dem Jahre 1529, indem Arminius als „erster Vaterlandsverteidiger“ beschrieben wird.
Am Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts wurde „Arminius“ schließlich ein beliebtes Opernmotiv. Gleichsam geriet das immer stärker politisierte Arminiusbild im 18. Jahrhundert zum Leitbild gegen Partikularismus und Zentralgewalt, als Mahnbild für die scheinbaren Erfordernisse der Zeit, beispielsweise in dem Trauerspiel „Arminius“ von Justus Möser aus dem Jahre 1749.
Der Gipfel der Verklärung war schließlich mit der „Hermannschlacht“ von Heinrich von Kleist erreicht, in dem der „Preuße“ Arminius die deutschen Stammesfürsten für den Kampf gegen die Römer, die die napoleonischen Besatzer repräsentieren, einigen will. Im Ersten und Zweiten Weltkrieg ideologisch mißbraucht, gilt das Bühnenstück erst nach der legendären Peymann-Inszenierung Mitte der 80er Jahre in Bochum wieder als spielbar.
Zudem wuchsen die Lokalisierungstheorien über die Schlacht auf 700 an. Mal wird Duisburg als Teutoburg gedeutet, immer wieder gerne das Waldland zwischen Ems und Lippe, jedoch auch im Süden gelegene Orte wie Augsburg werden angeführt, wenn es um den Austragungsort der Varusschlacht geht. Unter Heranziehung von Bodenfunden wurde sogar das oft als „saltus Teutoburgiensis“ bezeichnete Osning im 17. Jahrhundert auf Initiative des lippischen Pastors Piderit von dem Paderborner Bischof Ferdinand von Fürstenberg in „Teuteburger Wald“ umbenannt. Mittlerweile gilt die Umgebung bei Kalkriese als wahrscheinlichster Ort der Varusniederlage.
Imperium – Konflikt – Mythos
Auf den national-ideologischen Missbrauch des Arminiusbildes im Zweiten Deutschen Reich (1871 – 1918) einzugehen, würde den Rahmen des Artikels sprengen.
Im sogenannten „Dritten Reich“ ging die Ideologie der scheinbar erwiesenen Überlegenheit der Germanen eine mörderische Verbindung mit dem Rassismus der Nationalsozialisten ein. Erst die „Arminius-Studien“ von Dieter Timpe profilierten sich nach dem Zweiten Weltkrieg durch ein differenzierteres Arminiusbild.
Im Jubiläumsjahr 2009 wird es nunmehr zu einigen Ausstellungen kommen. Unter dem Titel „Imperium – Konflikt – Mythos“ im Museum Kalkriese bei Osnabrück wird Interessantes zu begutachten sein. 13 Millionen Euro Kosten sind für diese Ausstellung veranschlagt, zudem stehen weitere Ausstellungen in Detmold und Haltern an.
Doch für was könnte die Varusschlacht heute stehen? Die Determination des Limes als „ewige Grenze“ hat in einem pluralistischen Europa sicherlich keinen Platz mehr. Auch darf die Heraufbeschwörung eines national-heroischen Arminius-Bildes, zu dem sich vielleicht einige Feuilletonisten im Jubiläumsjahr hinreißen lassen werden, nicht darüber hinweg täuschen, was die Deutschen anderen Völkern angetan haben und immer noch antun. Ein Arminiusbild, das gegen Nationalismus, Krieg und Faschismus verstanden werden will, wäre 2000 Jahre nach der Varusschlacht hingegen ein lohnender Grund sich diesem Thema zu widmen.
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