Mit der jährlich in Magazinform erscheinenden dokumentatorischen Textsammlung „Schauplatz Ruhr“ wollen die HerausgeberInnen in diesem Jahr durch den thematischen Fokus auf die „szenische Erschließung“ des Ruhrgebiets im Theater-Kontext eine kulturhistorische Dimension aufzeigen, um die Bedeutung des Ruhrgebiets als eine der lebendigsten Kulturlandschaften Europas anhand des szenischen Geschehens in der Region zu dokumentieren. Themen dieser Edition sind nicht nur kulturelle „Leuchtturmprojekte“ wie die „RuhrTriennale“, sondern auch herausragende freie Theaterproduktionen der vergangenen Spielzeit. Auch bei der professionellen Gestaltung des Magazins werden alternative Wege beschritten: So wurde ein Großteil der hochkarätigen Beiträge von Studierenden der Theaterwissenschaft verfasst.
Studierende schreiben über studentisches Theater
Exemplarisch für beides steht der Rückblick der Bochumer Theaterwissenschaftsstudierenden Jasmin Stommel (Regieassistenz) und Klaas Werner auf die überwiegend studentische Produktion „Die Schauspieler“ von Einar Schleef in Moers und Mülheim (Rezension vgl. bsz Nr. 742, S. 4): Unter dem Titel „Asyl. Nacht“ wird eine theatergeschichtliche Linie gezogen, die von Schleefs 1986 uraufgeführtem Sozialdrama über Artauds „Das Theater und sein Double“ zurückreicht bis zu Maxim Gorkis „Nachtasyl“ (1903). Sehr eingängig wird die vielschichtige Konzeption des revolutionären Stückes unter der Regie von Fabian Lettow auf den Punkt gebracht – die in einer angedeuteten Vergewaltigung kulminierende Entmenschlichung der BewohnerInnen eines Nachtasyls in Zeiten der Pest, die auch symbolhaft als Krankheit der Gegenwartsgesellschaft aufzufassen ist.
Anleitung zum Aufstand
Gleich vier weitere Magazinbeiträge widmen sich der szenischen Auseinandersetzung mit der sozialen Wirklichkeit. Einer von ihnen öffnet zudem den Blick über die regionale Theaterszene hinaus Richtung Landeshauptstadt: In ihrem Beitrag „Verbrauchen was euch verbraucht“ widmet sich Eva Böhmer, Produktionsleiterin im freien Theater LOFT in Leipzig, der Koproduktion „faites vos jeux“ des Regieduos Hofmann & Lindholm im Düsseldorfer Forum Freies Theater. In ihrer insgesamt dritten Produktion „treten sie dem oft bemängelten gesellschaftlichen Stillstand entgegen“, „suchen nach aufständischem Potenzial“ und liefern hierbei eine szenische „Anleitung für den kommenden Aufstand“. Ausgehend von den revolutionären Ereignissen im Umfeld von ‚68 entwickelt sich das Stück in eine andere Richtung weiter, welche dem ersehnten Umsturz eine globalökonomische Tragweite verleiht: „Das Ziel des Aufstands ist die Erschöpfung der Ressourcen. Erst wenn alles verbraucht ist, wird auch der Aufstand beendet sein.“Â
Das ist eine Universität!
Alles in allem ist es nicht nur gelungen, das Projekt einer „kulturellen Revitalisierung“ der Postindustrieregion im Zentrum von NRW durch die „szenische Erschließung des historischen und kulturellen Raums des Ruhrgebiets“ zu dokumentieren, wie es im Editorial heißt. Vielmehr ist den für die Herausgabe verantwortlichen LehrstuhlinhaberInnen des Instituts für Theaterwissenschaft, Ulrike Haß und Guido Hiß, sowie den anderen Mitwirkenden darüber hinaus etwas ganz anderes geglückt: Ohne dies explizit zu thematisieren, zeigt „Schauplatz Ruhr“ zugleich, wie die Universität der Zukunft idealerweise funktionieren könnte; Studierende und Lehrende wirken auf gleicher Augenhöhe an einem gemeinschaftlichen Projekt mit, aus dem ein qualitativ hochwertiges Periodikum hervorgeht – in Zeiten ökonomischer Prekarisierung durch ein gebührenfinanziertes Studium, verschulte gestufte Studiengänge und Kreditpunkteterror allerdings kein leichtes Unterfangen.
Â
0 comments