„Auf die Frage danach, was Kultur ist, haben die Organisatoren offenbar eine klare Antwort: Kultur ist Kunst. Ich denke, dass Kultur mehr ist als Musik, Theater und Tanz, Kultur findet ständig in unserem Leben statt: Wie wir den Abend verbringen, wie wir sprechen, wie wir leben, all das ist Kultur“, meint Martin. Die Menschen im Ruhrgebiet haben jedoch kaum Möglichkeiten, mit zu entscheiden, was 2010 passiert. „Wir haben vor sechs Monaten begonnen, uns mit dem Thema zu beschäftigen und haben schnell gemerkt, dass die Öffentlichkeit vom Planungsprozess weitgehend ausgeschlossen ist und es nicht einfach ist, Informationen zu bekommen.“ Geplant wird hauptsächlich in der Ruhr 2010 GmbH.
„Diese GmbH ist zusammengesetzt aus Verteter/innen der Stadt Essen, des Regionalverbands Ruhr, des Landes Nord-rhein-Westfalen und des Initiativkreises Ruhrgebiet. Während letzteres nichts anderes als der Lobbyverband von 75 großen Unternehmen im Ruhrgebiet ist, sind nichtmals alle im RVR vertretenen Frakionen dort Mitglied.“Â Â
Wer zahlt‘s?
„Die Idee der Kulturhauptstädte kam in den Achtziger Jahren von der damals noch EG genannten und heutigen EU. Von der EU kommt aber nur ein Bruchteil des Geldes, nur eine Million Euro“, erzählt Martin. Allein das neue Bochumer Konzerthaus, das rechtzeitig bis 2010 stehen soll, kostet 29 Millionen. Insgesamt steht ein Etat von 60 Millionen Euro zur Verfügung, den etwa die Stadt Essen, das Land NRW, der Bund und weitere Kommunen finanzieren. „Weitere neun Millionen steuern Konzerne bei“, erklärt Martin. „Die Firmen können dann allerdings auch darüber entscheiden, was mit dem Geld passiert.“ Martin und die anderen Mitglieder der AG kritisieren, dass die Entscheidung darüber, was finanziert wird, ohne demokratische Kontrolle geschieht. „Wir waren überrascht, dass die EU nur einen so kleinen Anteil bezahlt. Es handelt sich also eher um ein Label, das sich die Kulturhauptstädte für ein Jahr ankleben können. Dahinter steht jetzt auch die Hoffnung, den Tourismus anzukurbeln und das Ruhrgebiet als Standort zu profilieren, der mit anderen Kulturstandorten konkurriert“, sagt Martin.
Kulturhauptstadt für alle
Für ihn kommen in der Planung die Menschen zu wenig vor, die jetzt im Ruhrgebiet leben und auch dessen Geschichte ausmachen. „Bei der Planung für 2010 spielen historische Merkmale des Ruhrgebiets kaum eine Rolle, liest man das „Buch eins“ der Ruhr 2010 GmbH (siehe auch www.ruhr2010.de). Weder die Geschichte der Arbeitskämpfe hier, noch die Migration, die eine große Rolle spielt, werden beachtet. In Essen spielt zum Beispiel auch die Waffenproduktion im Nationalsozialismus keine Rolle, an der aber zehntausende Menschen beteiligt waren. Genau das wurde in der Bewerbung zur Kulturhauptstadt auch zum Thema gemacht.“
Gleichzeitig mit dem Ruhrgebiet wird auch Istanbul Kulturhauptstadt. Die AG kritische Kulturhauptstadt hat schon mit Menschen dort Kontakt aufgenommen. „Gerade wegen der vielen Verbindungen durch die Transmi-gration zwischen Ruhrgebiet und Istanbul gibt es vielleicht Möglichkeiten für gemeinsame Projekte.“
Eine Frage, über welche die AG derzeit diskutiert, ist, ob es nicht wichtiger wäre, im Ruhrgebiet konkrete soziale Probleme wie Armut anzugehen. „Ein auf internationalen Standortwettwerb orientierte Kultuthaupstadt kann dies sicher nicht“, meint Martin. Gerade die „Schrumpfungsregion Ruhrgebiet“ biete dank nicht mehr genutzter Wohn- und Gewerberäume die Möglichkeit, diese vorhandenen Räume kostenlos sozialen und kulturellen Projekten zur Verfügung zu stellen.
Um dem reinen Eventcharakter der bisherigen Planungen etwas entgegenzusetzen, können sich die Mitglieder der AG auch ein Alternativprogramm vorstellen. „Durch die offiziellen Projekte im Rahmen der Kulturhautpstadt können einige lokale Künstlerinnen und Künstler unterstützt werden, was ja erstmal nicht schlecht ist. Wir wollen aber gerne mehr Beteiligung schaffen und Themen mit einbeziehen, die im Kulturbegriff der Ruhr 2010 GmbH offenbar nicht vorkommen.“
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